Harald Mahrer hat eine Erklärung dafür, warum die ÖVP so zerstritten wirkt: "Die Zentrifugalkräfte in der Partei hängen genau damit zusammen, dass die Leute die Positionen der Partei gar nicht kennen. Da sagt dann jeder in bester Absicht das, wovon er glaubt, dass es wichtig ist - ob es um Schulfragen oder Besteuerungsfragen geht."
Hätte die Partei ein klares Programm, würde das ganz anders ablaufen, ist der Präsident der (vom Wirtschaftsbund gegründeten) Julius-Raab-Stiftung überzeugt. Wobei Mahrer selbst durchaus geneigt ist, Diskussionsbeiträge zur Positionierung der ÖVP zu leisten.
Mahrer tut das ganz klassisch - mit Büchern, die beinahe im Monatsrhythmus erscheinen, und mit Diskussionsveranstaltungen.
Vor zwei Wochen etwa präsentierte er gemeinsam mit dem Direktor der Politischen Akademie, Dietmar Halper, das Buch Die Volkspartei Revolution - wobei das "R" im Titel durchgestrichen ist: Allzu revolutionär wollen sich die schwarzen Vordenker denn doch nicht geben.
Aber neu positionieren müsse sich die konservative Partei, davon sind nicht nur die Herausgeber des Buches überzeugt, sondern etwa auch der neue steirische Landesrat Christopher Drexler: "Gesellschaftspolitisch müssen wir einen Tick links und wirtschaftspolitisch einen Tick rechts der Mitte sein."
Davon ist im geltenden Programm, beschlossen am 22. April 1995 im Schatten des Wechsels von Erhard Busek zu Wolfgang Schüssel an der Parteispitze, noch wenig zu merken. Dieses explizit als "christdemokratisch" bezeichnete Programm wurde quasi als Fortschreibung des Salzburger Programms von 1972 mit Elementen der unter Josef Riegler ab 1989 propagierten ökosozialen Marktwirtschaft verstanden.
Dass diese Grundwerte zwar weiter verbindlich sein sollen, aber dringend einer Ergänzung mit Bezug zur aktuellen Politik bedürfen, wurde in der ÖVP nach der verlorenen Nationalratswahl 2006, die die Ära Schüssel beendete, klar. Nach Jahren ohne theoretische Diskussion wurde Josef Pröll vom Kurzzeit-Parteichef Willi Molterer mit der sogenannten Perspektivendiskussion (die ein Jahr später eine gedruckte Ideensammlung hervorbrachte) beauftragt.
Wieder eine Wahlniederlage und einen Obmannwechsel später stieß der neue Parteichef Pröll eine Neuformulierung des Programms an - eigentlich war für das Frühjahr 2011 ein Programmparteitag geplant. Doch stattdessen gab es einen Obmannwechsel - und der neue Parteichef Michael Spindelegger hatte andere Sorgen: Er wollte zunächst die Partei hinter sich bringen und sagte daher die Programmdiskussionen ab.
Mehr als ein Wahlprogramm für die Nationalratswahl war nicht drin. Mahrer hat nun eine Gruppe um sich geschart, die das nachholen will - am liebsten mit einem Parteitag innert Jahresfrist. (Conrad Seidl, DER STANDARD, 10.3.2014)