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Die Bewohner von Mariahilf und Neubau haben entschieden: Fußgänger, Rad- und Autofahrer sollen einander künftig auf der Mariahilfer Straße begegnen. Der Umbau beginnt im Mai.

Foto: APA/Hochmuth

Wien - Der kollektive Seufzer war am Freitagabend nicht zu überhören. Endlich, endlich gibt es eine Entscheidung über die Mariahilfer Straße, jene 1600 Meter Fußgänger- und Begegnungszone, die die Stadt in Atem gehalten haben wie schon lange nichts mehr. Und endlich, endlich gibt es in Wien wieder andere Themen. Dabei ging es stets um mehr als bloß um eine Einkaufsstraße. Vier Thesen zum großen Mahü-Bahö:

  • Rot-Grün ist fragiler als gedacht. Lange Zeit gelang es Bürgermeister Michael Häupl (SP) und Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne), ihre Koalition als Gegenmodell zum gefühlten Dauerstreit auf Bundesebene zu positionieren. Man gönnte sich gegenseitig Erfolge, pflegte hie und da ein paar Unterschiede, aber im Großen und Ganzen wirkte alles sehr konstruktiv. Dann kam die Mariahilfer Straße - und damit die Offenbarung vieler Brüche: Die Roten wollten sich so gar nicht ins Zeug legen (Stichwort "Loser-Thema"), die Grünen monierten das ziemlich offen.

Selbst in der Stunde des Triumphs wurmte die endenwollende rote Kampfbereitschaft noch so manchen aus dem Reihen des Juniorpartners: "ich möchte mich an dieser stelle für den überbordenden Einsatz der spö, aber auch für die konstruktiven beiträge der övp bedanken!", twitterte Gemeinderat Klaus Werner-Lobo am Freitagabend. Bundesrat Marco Schreuder stieß zeitgleich ins selbe Horn: "Die SPÖ soll so ausgiebig feiern, wie sie sich eingesetzt hat. Also eine Viertelstunde reicht."

All das Sticheln wird nicht zu vorgezogenen Gemeinderatswahlen führen; aber die Atmosphäre, die sehr lange sehr kuschelig war, ist nachhaltig vergiftet.

  • Der Bürgermeister klinkt sich zunehmend aus. Michael Häupl hatte als Partei- und Stadtchef stets den Ruf, sich in den Ressorts nur einzumischen, wenn der Hut brannte. Das schätzten die Stadträte durchaus. In Sachen Mahü hat seine Zurückhaltung aber viele im Rathaus und in den Bezirken verstört. Nicht nur die Grünen vermissten einen Ordnungsruf in Richtung jener Genossen, die die neue Mariahilfer Straße eifrig torpedierten; auch mehr und mehr Rote wunderten sich über die Häupl'sche Zurückhaltung.

Wenn sich diese Woche Vertreter aller Parteien treffen, um das weitere Vorgehen in Sachen Mahü zu besprechen, dann wird ausgerechnet der Bürgermeister fehlen. Er fühle sich, so sickerte am Freitagabend durch, nicht eingeladen - und habe im Übrigen eh keine Zeit. Vassilakou versuchte, im STANDARD-Interview am Samstag zu begradigen: "Der Bürgermeister hat das Recht, an jedem Treffen teilzunehmen, das ihm sinnvoll und wichtig erscheint."

  • Das Auto steht nicht mehr im Zentrum der Wiener Verkehrspolitik. Auch wenn die entsprechende Motivforschung fehlt, so hat man doch als Beobachter den Eindruck: Die Mariahilfer und Neubauer haben nicht primär für die Mahü neu gestimmt, weil sie Vassilakous Konzept und dessen Umsetzung so genial fanden. Es gewann das Bauchgefühl, dass wenige Autos in der Stadt besser sind als viele. Das ist so simpel wie revolutionär, galt doch Politik gegen Autofahrer lange Zeit als unmöglich in Wien.

Ein erweitertes Parkpickerl und eine vergünstigte Öffi-Jahreskarte später klingt es wie ein Ruf aus längst vergangener Zeit, wenn etwa die VP wortreich beklagt, dass man mit dem Auto nicht jederzeit in jeden Winkel des sechsten und siebenten Bezirks fahren kann. Der Paradigmenwechsel ist - zumindest innerstädtisch - eingeläutet.

  • Polarisierung ist Trumpf. 68,1 Prozent Beteiligung bei der Bürgerbefragung und damit mehr als bei der letzten Wien-Wahl - das grenzt schon fast an ein demokratisches Wunder. Damit ist nicht nur belegt, dass sich Menschen am meisten für das interessieren, was vor ihrer eigenen Haustür passiert; damit zeigt sich auch: Wer polarisiert, mobilisiert. Am gefährlichsten für die (direkte) Demokratie ist Wurschtigkeit.

Maria Vassilakou hat sich viele Freunde und Feinde gemacht mit der Mahü, aber egal dürfte sie nur mehr den wenigsten Stadtbewohnern sein. Wer aus der roten Stadtratsriege kann das schon von sich behaupten? (Andrea Heigl, DER STANDARD, 10.3.2014)