Die EU hat eine Milliardenhilfe für die wirtschaftlich darniederliegende Ukraine beschlossen. Das klingt gut, ist jedoch mit etlichen Fragezeichen zu verknüpfen.

Das größte: Das Land hat derzeit keine rechtmäßig an die Macht gekommene Regierung. Dieses Faktum und wie es nach den Todesschüssen am Maidan dazu gekommen ist, müsste rasch untersucht werden. EU-Hilfen (= Gelder der Mitgliedsstaaten) brauchen rechtlich einwandfreie Grundlagen. Man wird allein deshalb schon auf den Ausgang der Wahlen im Mai und auf die Bildung einer neuen Regierung warten müssen.

Ein zweites Fragezeichen ist mit dem Machtumschwung in den großen Industrieregionen verbunden. In Dnipropetrowsk wurde der Oligarch Igor Kolomojskij zum Gouverneur ernannt. Er gehört zu den Unterstützern von Julia Timoschenko und dem neuen Regime in Kiew. In Donezk hat die Regierung den Oligarchen Sergej Taruta eingesetzt, der laut Neuer Zürcher Zeitung mit dem reichsten Mann der Ukraine, Rinat Achmetow, kooperiert.

Achmetow besitzt Stahlwerke, Kohlegruben, Kraftwerke und TV-Stationen. Er ist Herrscher über 300.000 Arbeitsplätze, war immer Gegenspieler Timoschenkos, die in den 90er-Jahren die "Vereinigten Energiesysteme der Ukraine" geführt hatte.

Sein Vermögen hat sich laut Forbes in der zweiten Hälfte 2013 um drei Milliarden Dollar vermehrt. Er kontrollierte ein Drittel der Abgeordneten der Partei des gestürzten Präsidenten Wiktor Janukowitsch. Zuletzt aber hatte er sich - wie die USA und Deutschland - für Direktgespräche zwischen Moskau und Kiew ausgesprochen. Eine Spaltung des Landes ist nicht in seinem Interesse. Seine Macht zu ignorieren wäre für die Übergangsregierung daher fatal.

Ein weiterer Oligarch, der in Umfragen zur künftigen Präsidentschaft mit 21 Prozent knapp vor dem Boxer Witali Klitschko führt, ist Petro Poroschenko aus dem Timoschenko-Lager. Er war schon Außenminister, Handelsminister und Chef der Nationalbank und hat direkten Zugang zum Volk - mit der Marke Roschen ist er der "Schokoladenkönig". Sein TV-Sender "Kanal" war Sprachrohr der Maidan-Besetzer.

Diese Entwicklungen zeigen deutlich, wer allein in den genannten Schlüsselregionen schnell fließende EU-Gelder in der Hand hätte. Jede größere Investition, jede staatliche Strukturmaßnahme könnte nicht an den Oligarchen vorbei getätigt werden.

Die Industrie- und Agro-Magnaten der Ukraine werden auch nach rechtmäßigen Neuwahlen keine Machteinbußen erleiden, aber die EU sollte klare Richtlinien vereinbaren. Sie müsste an Ort und Stelle ein Büro errichten, das die Geldflüsse überwacht.

Schnelle Hilfe ist trotzdem notwendig. Leicht gesagt. Aber es gibt die effizienten Apparate der internationalen Hilfsorganisationen von Caritas, Rotem Kreuz und anderen. Über sie könnten jene Gelder verteilt und Strukturen errichtet werden, die aktuell gebraucht werden. Darin haben sie Erfahrung. Ihnen kann man auch als (indirekt) zahlender EU-Bürger vertrauen. (Gerfried Sperl, DER STANDARD, 10.3.2014)