Ein Angebot über 100 Euro an den Gerichtsvollzieher führt vor Gericht.

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Wien – Was wiegt schwerer? Als Vertragsbedienstete in einem Gericht Geld aus der Handkassa zu nehmen und einen Kollegen zu bestehlen? Oder einem Gerichtsvollzieher Geld anzubieten, damit er ein Schriftstück nicht abgibt, es dann aber dennoch entgegenzunehmen? Über diese Fragen muss im Straflandesgericht Wien entschieden werden.

Im ersten Fall geht es um Frau K., die wegen gewerbsmäßigen Diebstahls unter Ausnützung einer Amtsstellung vor dem Schöffensenat unter Vorsitz von Minou Aigner steht.

Zwölf Jahre war die 41-Jährige in einem Bezirksgericht als Vertragsbedienstete beschäftigt, ehe sie über ein knappes Jahr verteilt gut 500 Euro stahl. Sie ist zerknirscht und geständig. Ihr Motiv: "Ich hatte massive Geldprobleme." Offene Rechnungen bei einem Kinderversandhandel beispielsweise, wo sie Utensilien für ihren Sohn bestellte.

Kein Geld für Fahrschein

"Was war die erste Handlung?", will Aigner von ihr wissen. "Ich habe mir aus der Grundbuchhandkassa zehn Euro genommen, da ich mir keinen Fahrschein mehr leisten konnte." "Hatten Sie keine Monatskarte? Die ist ja billiger als ein Einzelfahrschein." "Damals hatte ich eine Wochenkarte und kein Geld mehr."

Warum, wird nicht völlig aufgeklärt, denn völlig mittellos war die Familie nicht: Das Haushaltseinkommen lag bei 2.700 Euro netto, die Miete kostete 520 Euro, Auto gab es keines.

"Mein Mann hat gesagt, er zahlt die Wohnung und einen Kredit der Ex-Frau und ich muss die regulären Kosten für das Kind übernehmen", sagt die Unbescholtene. "Hätten Sie keine Verwandten fragen können?", fragt die Richterin. "Vielleicht meine Schwester, aber da war ich zu stolz."

Ruhig und unauffällig

Insgesamt fünfmal nahm die nunmehr Alleinerziehende Geld. Auch, nachdem die Polizei einmal im Büro war, um die Diebstähle zu untersuchen. Als sie aufflog, zahlte die von den Zeugen als ruhig und unauffällig Beschriebene den Schaden sofort zurück.

Bei Herrn H. geht es um dasselbe Bezirkgsgericht, aber in einem anderen Zusammenhang. Ihm wird die versuchte Anstiftung zum Amtsmissbrauch vorgeworfen, über den der Schöffensenat unter Vorsitz von Stefan Erdei zu entscheiden hat.

H. hatte ein kleines Unternehmen und Schulden. Derer er sich auf kreative Weise entledigen wollte. Er meldete sich bei der Post mit unbekannter Adresse ab. Erfolgreich war das nicht: Der Briefträger schickte das Schreiben zwar zurück ans Gericht, dafür kam der Gerichtsvollstrecker persönlich vorbei.

100 Euro angeboten

Der 38-jährige vierfache Vater wollte den Brief zunächst nicht annehmen. Und bot dann dem Beamten 100 Euro, falls er einfach wieder gehen würde. Möglicher Hintergrund: Die Zinsforderung wäre bald verjährt gewesen.

Der Gerichtsvollzieher ignorierte die Forderung und gab dem Angeklagten das Schreiben auch ohne dessen Unterschrift. Ein wirklicher Schaden entstand nicht: H. einigte sich später mit dem Gläubiger in einem Vergleich über die gut 1.000 Euro Schulden.

Vor Gericht versucht der Angeklagte das abzuschwächen. Er habe es eher als Witz gemeint, er habe dem Mann auch nie einen Geldschein gezeigt, er habe das Schreiben ja schließlich eh angenommen, und überhaupt tue es ihm leid.

Ermahnung für "Blödsinn"

Für seinen Verteidiger Andreas Reichenbach ein klares Beispiel für ein umfassendes, reumütiges Geständnis, er beantragt daher eine Diversion. "Es war ein Blödsinn, bei dem man es mit einer Ermahnung belassen kann."

Staatsanwältin Sonja Herbst sieht das gar nicht so. "Eine Schuldeinsicht ist ganz was anderes, Sie haben nur herumgeredet", wirft sie dem Angeklagten vor.

Der aggressiv reagiert. "Geben Sie mir eine Chance, warum machen Sie das?", fragt er lautstark. "Ich bin kein Verbrecher, lassen Sie mich arbeiten!", fordert er mit Zornesfalten auf der Stirn. "Sie haben eine Vorstrafe", erwidert Herbst kühl.

Kein Amtsdelikt

Schließlich lösen die beiden Senate die anfangs gestellte Frage auf. Frau K. kommt ohne Strafe davon – sie erhält eine auf zwei Jahre bedingte Diversion für ihre Griffe in die Kassa. Die seien kein Amtsdelikt, sondern vergleichbar mit einer Sekretärin in einer Privatfirma. Und: Die Angeklagte habe ohnehin schon ihren sicheren Job bei Gericht verloren, ihr neuer Arbeitgeber weiß nichts von der Sache. "Wir wollen ihr die Möglichkeit geben, ihr Leben weiterzuleben", sagt die Vorsitzende.

Herr H. wird dagegen schuldig gesprochen und bei einem Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu sieben Monaten bedingt verurteilt. In seiner Begründung erklärt Vorsitzender Erdei, warum es keine Diversion wurde. "Amtsmissbrauch und die Anstiftung dazu sind keine Bagatelldelikte."

"Unkonventionelle Lösungsmittel"

Ein Geständnis ortet Erdei ebenso wenig wie die Staatsanwältin, dazu kommt die Vorstrafe. Die bekam H., weil er einem säumigen Kunden drohte, die Tür zu ruinieren. "Sie greifen gerne zu unkonventionellen Lösungsmitteln", stellt der Vorsitzende fest.

Und er scheint Mitleid mit Verteidiger Reichenbach zu haben: "Ein Geständnis schaut ganz anders aus. Sie sind offenbar beratungsresistent", gibt er dem Angeklagten noch mit. Beide Entscheidungen sind nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, derStandard.at, 10.3.2014)