Wien - Fachjargon treibt immer wieder einmal schöne Blüten. Wenn HIV-Mediziner von naiven Infizierten sprechen, meinen sie keineswegs charakterliche Wesenszüge. Naive Patienten sind solche, die noch nie behandelt wurden, also etwa all jene, die gerade entdeckt haben, dass sie sich mit dem HI-Virus infiziert haben.

Das seit 1. März in Österreich zugelassene Medikament Tivicay (Wirkstoff Dolutegavir) von ViiV Healthcare ist für naive und vorbehandelte Patienten zugelassen. "In den Studien hat es ausgezeichnet abgeschnitten, was die Wirksamkeit, Entwicklung von Resistenzen und das Nebenwirkungsprofil betrifft", sagt Armin Rieger, Leiter der HIV-Ambulanz am Wiener AKH. Als sogenannter Integrase-Inhibitor verhindert das Medikament, dass sich das Virus vermehrt und in die DNA einbaut.

Konkret habe sich Dolutegavir in den klinischen Studien im Vergleich zu den verschiedenen State-of-the-Art-Therapien als zumindest gleich wirksam, oft sogar als wirkungsvoller erwiesen, sagt Rieger. Das sei auf die vorteilhafte Kombination potenter antiviraler Wirkung, einer hohen Barriere bei der Resistenzselektion und die gute Verträglichkeit zurückzuführen. Allerdings muss Tivicay sich, so wie jedes andere neue Medikament, erst in der Praxis bewähren.

In Schach halten

Wer Tivicay in Zukunft bekommen wird, hängt von vielen Faktoren ab. "Der große Vorteil ist, dass es in der Anwendung ein Medikament ist, das unproblematisch ist", sagt er. Das heißt: Jeder Patient muss nur mehr einmal am Tag an seine Erkrankung und die notwendigen Tabletten denken, zudem ist die Einnahme unabhängig von der Nahrungsaufnahme. "Bei HIV-Therapie ist die Therapietreue ein ganz wichtiger Faktor. Je simpler die Einnahme, umso besser die Therapietreue", sagt Rieger. Tivicay in Kombination mit Nukleosidische-Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI) hält das HI-Virus in Schach - mit nur zwei Tabletten täglich.

Allerdings warnt Rieger vor einer Bagatellisierung der HIV-Infektion: "Es ist eine chronische Erkrankung mit der Indikation zu lebenslanger Therapie. Unsere Patienten werden immer älter, es kommen andere Erkrankungen hinzu", sagt er. Polypharmazie, also das gleichzeitige Einnehmen von vielen Tabletten, und die daraus resultierenden Wechsel- und Nebenwirkungen bleiben eine große Herausforderung. (Karin Pollack, DER STANDARD, 11.3.2014)