Der Kellner serviert den Teller, es sind feine Pancakes, mit Himbeeren, Ribiseln, Melonenstücken und Staubzucker garniert. Bevor die Beglückte zur Gabel greift, zückt sie das Smartphone. Die Nahrungsaufnahmen mit dem obligatorischen Hashtag werden in allen sozialen Netzwerken geteilt, wandern durch das World Wide Web und bereichern Follower und Freunde – zumindest denken das die Poster der Bildchen.

Foto: derStandard.at/eho
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Food-Porn – was zunächst eher unappetitlich klingt, hat weniger mit Sex als mit Essen zu tun. Die begriffliche Ableitung aus dem Hardcore-Milieu hat dennoch ihre Berechtigung, geht es doch um Spannerei, den Blick auf den Teller der anderen. Auch Lust ist involviert, jedoch eher auf glasierte Krapfen als auf Körpersäfte. So wird unter dem Begriff "Food-Porn" sowohl das Hochladen von Fotos als auch das Suchen und Betrachten der Speisen verstanden. "Schauen statt selber völlern" lautet die Devise.

Der österreichische Philosoph Robert Pfaller hat bereits im Jahr 2000 für derartige Phänomene den Begriff "Interpassivität" geprägt. Er meint damit eine Art Flucht vor dem eigenen Genießen. Demnach übt sich der Betrachter – durch die visuelle Teilhabe am Genuss der anderen – im passiven Hedonismus. Was heute so viel heißt wie: Die Bilder essen an unserer Stelle.

Der Food-Porn-Index

Die "Hobby-Food-o-grafen" lichten mehrheitlich jene Speisen ab, die unter den Begriff "ungesunde Nahrung" fallen – sprich Donuts, Speck, Süßigkeiten und Burger. Dieser Überzeugung ist Bolthouse Farms, ein amerikanischer Safthersteller, der die Website Food-Porn-Index entwickelte, die im Viertelstundentakt alle hochgeladenen Hashtags zählt und den ungesunden die gesunden Speisen gegenüberstellt. Eines ist dabei deutlich zu erkennen: User taggen lieber Junkfood als Karotten oder Brokkoli. Die Seite bietet jedoch mehr als trockene Algorithmen und Statistiken, der Leser hat immerhin die Möglichkeit, auf einem Karotten-Keyboard zu musizieren, sich einer sanften Melonen-Meditation hinzugeben oder Kohlsprossen beim Ballett zuzusehen.

Gesundes versus ungesundes Essen als Marketing-Gag
Foto: Screenshot Foodpornindex.com

Laut Angaben von Bolthouse Farms soll der Food-Porn-Index sensibilisieren und die Leute dazu anregen, gesünder zu essen. Da die Menschen im Twitter-Zeitalter eher Follower als Leader seien und viel mehr Menschen dem Trend der Fastfood-Fotografie als der Gemüse-Knipserei folgen, befürchtet das Unternehmen ein Ansteigen des Verbrauchs ungesunder Lebensmittel. Das Konzept der Website mag zwar offiziell hehren Motiven folgen, ist aber vor allem eines: ein durchaus gelungener Marketing-Gag.

Fotografieren? Verboten!

Ob es durch Food-Porn tatsächlich zu einer Veränderung des Essverhaltens kommt, sei dahingestellt. Was vielmehr verblüfft, ist die zunehmende Flut von Essensbildern und die sinkende Akzeptanz von Küchenchefs, allen voran der Spitzenköche der französischen Haubengastronomie: Während der Food-Porn-Index das Onlinestellen von Nahrung zelebriert und damit das Phänomen möglicherweise weiter ankurbelt, sträuben sich einige Restaurantbetreiber gegen den inflationären Gebrauch der Food-Pics. Der französische Michelin-Koch Gilles Goujon sieht das Fotografieren und Teilen seiner Speisen im Internet als "intellektuellen Diebstahl". Auch sein Kollege, und ebenfalls Michelin-Chef, Alexandre Gauthier untersagt das Fotografieren in seinem Restaurant "La Grenouillère". Selbst in Wien gibt es Verweigerer: Das Hotel und Restaurant Daniel empfängt seine Gäste gleich am Eingang des Lokals mit einem humoresken Schild, das unmissverständlich zum Ausdruck bringt: "Fotografieren unerwünscht".

Das Smartphone: Arbeitsgerät der Food-Porn-Gerneration
Foto: derstandard.at/gueb

Mok-Bang – Essen auf Sendung

"Food-Exibitionismus" kann aber auch als Markierung sozialer Unterschiede verstanden werden. Denn wer es sich leisten kann, knipst sich von Teller zu Teller seines mehrgängigen Menüs eines Gault-Millau-Schuppens.

Damit nicht genug: Die neueste Entwicklung auf dem Food-Porn-Sektor kommt aus Südkorea und nennt sich "Mok-Bang". Dabei werden Unmengen an Essen verzehrt und die Aufnahme von der Nahrungsaufnahme als Stream ins Netz gestellt. Ein Angebot, das besonders einsame Herzen animieren soll – zum Schlemmen im Kreise der virtuellen Familie. (Günther Brandstetter, Evelyn Höllrigl, derStandard.at, 11.3.2014)