Maria Pohn-Weidinger forscht intergenerationell.

Foto: Ingo Lauggas

Es begann mit Biografieforschung zu sogenannten "Trümmerfrauen": Maria Pohn-Weidinger stieß dabei zufällig auf die Geschichte einer Nationalsozialistin, die massiv vom System profitierte, aber dennoch einen jüdischen Widerstandskämpfer aus der Résistance heiratete. Wie wurde und wird in der Familie bei den nachfolgenden Generationen mit dieser Gegensätzlichkeit umgegangen? Gibt es Auswirkungen auf spätere Biografien?

Schnell stellte die Soziologin fest, dass sie damit - zumindest in Österreich - thematisches Neuland betreten hatte: "Es gibt viel Deskriptives zu Biografien von Menschen im Widerstand, aber dazu, welche Auswirkungen das auf Nachkommen hat, eigentlich nichts. Das hat mich ziemlich überrascht", erzählt Pohn-Weidinger. Ein Grund für die bisher ausbleibende wissenschaftliche Aufmerksamkeit sei wohl die geringe Anzahl der Betroffenen. Im Vergleich zu Überlebenden der Shoah bzw. zu NS-TäterInnen, für die solche Fragen schon lange im Interesse der Forschung stehen, sind es doch nur sehr wenige.

Seit einem Jahr forscht Pohn-Weidinger nun im Rahmen des Herta-Firnberg-Programms des Wissenschaftsfonds (FWF) dazu, wie widerständiges Handeln gegen das NS-Regime und die Erfahrungen damit auf Biografien wirken, konkret: auf Handlungs- und Entscheidungsstrukturen der Nachkommen. Widerständigkeit oder "Anecken" gegen Strukturen finde aber oft in ganz anderen Kontexten statt, nicht unbedingt in dezidiert politischen. "Sich zu emanzipieren, wegzugehen, Neues zu probieren - viele Familienmitglieder haben das schon immer gemacht. Ob ökonomisch, im familiären Kontext oder sonst wie", so Pohn-Weidinger.

Auswirkungen auf die Gegenwartsgesellschaft

Wie die vergangene Widerständigkeit in der Familie konstruiert wird, ob sie weiterhin eine Rolle spielt und welche Unterschiede es dabei zwischen den Generationen gibt, interessiert die Soziologin ebenso wie Auswirkungen auf die Gegenwartsgesellschaft: "Aus soziologischer Perspektive ist die Frage immer wichtig, was man über die heutige Gesellschaft aussagen kann. Das Feld der Erinnerung ist aber etwas, das die Soziologie in Österreich ein bisschen aufgegeben hat." Vor allem zugunsten der Historiker, die im Sinne einer Rekonstruktion des Vergangenen noch wahnsinnig viel zu tun hätten, so Pohn-Weidinger. Eigentlich sei dieses Forschungsfeld sehr viel interdisziplinärer, die wissenschaftliche Trennungslinie verlaufe in Österreich aber leider sehr scharf.

Derzeit arbeitet die Soziologin großteils zu Familien, die es gewohnt sind, über ihre Geschichte zu sprechen, und bereits eine gewisse Öffentlichkeit haben. Der Kontext ist in diesen Fällen meist klar politisch. "Aber die Frage ist natürlich auch, was überhaupt als Widerständigkeit gewertet wird - das ist oft sehr schwer zu fassen." Obwohl der Zugang schwierig ist, sollen deshalb künftig auch Familiengeschichten erforscht werden, die weniger in der Öffentlichkeit stehen.

Dabei interessiert sich Pohn-Weidinger auch für nichtverbale Erinnerungsformen, etwa Familienfotografien. Gerade angesichts des Sterbens der Betroffenen der ersten Generation, so sie nicht von den Nationalsozialisten hingerichtet wurden, geht sie der Frage nach, welche Bedeutungen solche Erinnerungsformen erlangen - und ob sie auch für Urenkel noch eine Rolle spielen. (David Rennert, DER STANDARD, 12.3.2014)