Millionen chinesische Blogger treibt derzeit nur ein Thema um: die seit vier Tagen spurlos verschollene Boeing mit 154 ihrer Landsleute. Chinas Internetgemeinde fühlt sich von amtlichen Vermutungen oder Erklärungen, wo das Flugzeug abgeblieben und was mit ihm passiert ist, hingehalten. Sie verlangen immer ungeduldiger nach Antworten. Die Nachrichten zur internationalen Aufspüraktion, an der inzwischen über 30 Flugzeuge und mehr als 40 Schiffe aus zehn Ländern beteiligt sind, wirken so widersprüchlich, dass sie Misstrauen wecken.
Dienstagmittag gab es einen neuen Anlass dafür: Die malaysische Fluggesellschaft machte bekannt, dass sie ihre Suche nach dem Flieger schwerpunktmäßig von den Küstengewässern vor Vietnam zur Straße von Malakka westlich der malaysischen Halbinsel verlegt und auch die Landgebiete miteinbeziehen werde.
"Was weiß Kuala Lumpur, was wir nicht wissen dürfen?", schrieben wütende Blogger. "Ist unsere Regierung vielleicht längst informiert?" Wenig später hieß es aus Militärkreisen, dass Radarbilder zeigten, dass das Flugzeug seinen Kurs geändert habe und niedriger geflogen sei.
Unterschwellige Kritik
Pekings Regierung schickte interministerielle Arbeitsgruppen nach Kuala Lumpur. Die Militärführung befahl Teilen der Kriegsmarine, zur Unterstützung der Suche in die vermuteten Absturzgewässer auszufahren. Das Verteidigungsministerium kündigte zugleich an, zehn Kommunikations- und Wettersatelliten aus Chinas Ortungsnetz umzuprogrammieren, um die Suche aus dem Orbit zu unterstützen.
Unterschwellig wird Kritik an der späten Ankunft der chinesischen Helfer am vermuteten Unglücksort laut. Sie zeige die Schwächen der Großmacht China, die territorialen Anspruch auf den größten Teil des 3,5 Millionen Quadratkilometer weiten Südchinesischen Meeres erhebt, kommentierte am Dienstag die Tageszeitung "21. Century Business Herald". Chinas südlichste Inselprovinz Hainan liege mehr als 1000 Kilometer vom Suchgebiet entfernt. Solche Distanzen seien zu weit, sagte am Dienstag auch der Chef der Marine-Beratergruppe, Yin Zhuo. "Wenn wir von dort aus losfliegen, kommen wir nicht mehr zurück."
Französische Justiz ermittelt
Die Ungewissheit plagt selbstverständlich vor allem die Angehörigen. Ein Teil der 357 Familienmitglieder der chinesischen Insassen der Boeing, die sich in Peking seit vergangenem Samstag eingefunden haben, ließ sich inzwischen nach Kuala Lumpur ausfliegen, um näher am befürchteten Unglücksplatz dran zu sein. Eine zweite Gruppe sollte Dienstagnacht nachfliegen.
Die französische Justiz hat Vorermittlungen wegen fahrlässiger Tötung aufgenommen. In der Maschine befanden sich auch vier französische Passagiere. Spekulationen über einen etwaigen Terroranschlag wurden von Interpol entkräftet. Es gebe keine Hinweise darauf, dass jene Personen, die mit ge- oder verfälschten Reisepässen eingestiegen waren, Terroristen seien. Vielmehr dürfte es sich um Flüchtlinge aus dem Iran handeln. (Johnny Erling aus Peking, DER STANDARD, 12.3.2014)