Foto: Gerhard Wasserbauer/http://www.wasserbauer.cc/

Es ist leicht, heute über die Spitzfindigkeit zu spotten, mittels der fromme Gläubige ebenso wie Adel und Klerus einst die drakonischen Fastengesetze der katholischen Kirche situationselastisch zu interpretieren wussten. Das Bild vom moralinsauren Mönch, der abgestandenes Wasser predigt, extrastarkes Fastenbier säuft und es sich auch sonst nie schlecht ergehen lässt, wird so falsch nicht sein.

Dennoch: Die Speckschicht um die sterbliche Hülle solch gottesfürchtiger Seelen hatte auch existenzielle Gründe: Es galt sich vor der unbarmherzigen Kälte zu schützen, die in den Klosterzellen herrschte. Gleichzeitig musste der dauernden Gefahr von Missernte samt Hungersnot vorgebaut werden. Zwischen 5000 und 7000 Kalorien, so die Aufzeichnungen französischer Klöster, haben Mönche im Mittelalter zu sich genommen - täglich. An Fastentagen, die sich auf über 130 im Jahr addierten, kamen die Kleriker immer noch auf die Hälfte dieser stattlichen Werte.

Der höhere Sinn des Fastens als Hinwendung zur Askese, die den Sinn frei macht für neue religiöse Erfahrungen, mag in subtropischen Regionen (wie jener, in der das Christentum entstanden ist) eine fantastische Idee gewesen sein. In alpinen Tälern, wo der gnadenlose Winter sich oft erst lange nach Ostern - also nach Ende der Fastenzeit - zurückzieht, war es die längste Zeit eine problematische Einrichtung: Wenn Teiche und Seen von einer dicken Eisschicht bedeckt sind, kommt man selbst an die erlaubten Kalorien kaum heran.

Ein Anflug von Anmut

Unsere Zeit leidet bekanntlich an umgekehrten Vorzeichen - Essen wird bei jeder passenden wie unpassenden Gelegenheit in solchen Mengen reingeschoben, dass es - auch mangels ungeheizter Klosterzelle - seit einer gefühlten Ewigkeit schon nicht mehr schön anzusehen ist. Fasten dient deshalb längst dazu, wenigstens kurzzeitig einen Anflug von Anmut um die Hüften gezaubert zu bekommen.

Es entbehrt freilich nicht einer gewissen Bigotterie, sich dafür ausgerechnet die katholische Fastenzeit auszusuchen - so man nicht tiefsitzende religiöse Gefühle beistellen kann. Weshalb die meisten sich darauf verlegt haben, Bauch und Leber schon gleich nach dem Jahreswechsel etwas Gutes zu tun. Die religiöse Fastenzeit wird so auf durchaus spannende Weise frei, um die reichhaltigen Traditionen zu studieren, die unsere Vorfahren entwickelt haben, um auch in Zeiten erhöhter Gottesfurcht nicht vom Fleisch zu fallen.

Etwas Ähnliches scheint sich jedenfalls Max Stiegl gedacht zu haben, der aus Slowenien gebürtige Spitzenkoch in Purbach am Neusiedler See. Stiegl macht seit Jahren mit ebenso feinsinnigen wie gewagten Initiativen von sich reden. Als einer der wenigen Köche des Burgenlands - wenn nicht Österreichs - hat er verstanden, seine Küche stets auch in einen gesellschaftlichen Kontext zu stellen.

Knusprige Schenkelchen

Für die Dauer der Fastenzeit stellt er sein Restaurant ganz ins Zeichen von Gerichten, deren Rezepte er in Fastenspeisen gewidmeten Kapiteln alter Kochbücher gefunden hat. "Die Vielfalt dessen, was damals alles gegessen wurde, ist atemberaubend - vor allem in Hinblick darauf, wie eintönig sich viele heute ernähren, wo alles im Überfluss vorhanden ist", sagt Stiegl.

Manches, etwa extrem saftige, vom Aroma der Bratbutter berstende Froschschenkel (Frösche fielen als Kaltblüter nicht unter die Fastengesetze, Anm.) hat er unverändert übernommen. Auch beim Strudel aus frisch vergorenem Kraut, einem in seiner knackigen, delikaten Geradlinigkeit die Sinne klärenden Gericht, hat Stiegl sich an die Vorgaben gehalten - das verblüffend köstliche Ergebnis gibt solcher Quellentreue recht.

Oafisch, eine im Mühlviertel beheimatete Variante des pochierten Eis, wird auf Selleriepüree gebettet und mit Wildkräutern sowie einem Hauch Bergkäse kombiniert - ganz einfach, ganz gut. Mit Buchweizen gefüllte, locker leichte Sarma setzt Stiegl auf pikantes Calamari-Ragout: Das ist, wie auch die zart mit Bärlauch parfümierten Vongole, seiner Herkunft aus Piran geschuldet. "ganz ohne Meer und Muscheln ist es für mich keine Fastenzeit", sagt er.

Herrgottsb'scheißerle

Wobei: Angesichts solch fleischiger Mollusken wie der Wiener Schnecken, die in unheimlich geiler, estragonduftiger Béarnaise baden, gingen sie kaum ab - vor allem wenn man angesichts der Herrgottsb'scheißerle in fantastisch dichter, klarer Erdäpfelconsommé noch eine echte Sünde aufgetischt bekommt. Diese schwäbischen Maultaschen bergen nämlich eine derart stark gekräuterte Fleischfülle in sich, dass der Herrgott die Sünde der Legende nach niemals erkennen konnte.

Aber Vorsicht: Wer der Verlockung nachgibt, die Fastenkarte rauf und runter zu bestellen, kommt locker auf mönchische 7000 Kalorien. Daheim hilft dann nur noch Fenster auf und Heizung zu, um sich wenigstens ansatzweise in das Klosterzellenfeeling einzufühlen. Wobei: Wenn draußen der Frühling explodiert wie dieser Tage, ist es mit der Kasteiung auch da nicht weit her. (Severin Corti, Rondo, DER STANDARD, 14.3.2014)