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Fünf Jahre "Krisenfrey" - ein Grund zum Feiern und zur Selbstreflexion.

Foto: AP/Marquez

Morgen vor fünf Jahren habe ich meinen ersten Blogeintrag unter dem Namen "Krisenfrey" verfasst. Statt mit einer Feier will ich das kleine Jubiläum mit einer kritischen Selbstüberprüfung begehen.

Wer jetzt ein "mea culpa" über so manche kontroverse Meinungen erwartet, die ich vertreten habe, wird enttäuscht werden. Meinungen lassen sich immer nur subjektiv bewerten – und das tun ja die derStandard.at-Poster zuhauf. Mir geht es hier um die objektive Beurteilung konkreter Prognosen, die im Lichte späterer Ereignisse getestet werden können.

Über die Jahre habe ich immer wieder - so wie jeder Kommentator - versucht, gewisse Entwicklungen vorauszusagen. Und nun, nach fünf Jahren, kann ich Bilanz ziehen.

Wer meist danebenliegt, hat nicht nur Pech

Die Zukunft lässt sich bekanntlich besonders schlecht voraussagen. Aber die Treffsicherheit von Prognosen sagt auch etwas über die Qualität der vertretenen Thesen und Gedankenmodelle aus. Wer regelmäßig danebenliegt, hat nicht nur Pech gehabt, sondern unterliegt wohl auch gewissen Trugschlüssen.

Als Karl Marx im 19. Jahrhundert den Untergang des Kapitalismus prognostizierte, begriff er die Grundlagen der Nationalökonomie nicht. Als Finanzexperten im vergangenen Jahrzehnt behaupteten, der breite Einsatz von Derivaten würde das Finanzsystem stabiler machen, ignorierten sie die komplexe Dynamik von Finanzmärkten.

Drei Dutzend Voraussagen

Ich habe aus meinen fast 500 Blogeinträgen drei Dutzend Beispiele ausgewählt, in denen ich tatsächlich spätere Entwicklungen vorauszusagen versuchte - über die Volkswirtschaft, die Unternehmenswelt, die Finanzmärkte, die Politik, sogar die Medien. Hier eine Übersicht:

21.3.2009: Die Geldschwemme der Notenbanken wird nicht zu einer höheren Inflation führen. Richtig

1.4.2009: Weder China noch anderen wird es gelingen, die Abhängigkeit der Weltwirtschaft vom Dollar zu verringern. Richtig

26.6.2009: Auch Österreich droht eine Verschuldungskrise im Immobilienmarkt, vor allem durch die weite Verbreitung von Fremdwährungskrediten. Falsch

25.7.2009: Die Pläne für eine europäische Ratingagentur werden scheitern. Richtig

Die Goldblase platzte, aber viel später

12.11.2009: Der Höhenflug des Goldpreises wird über der 1.000-Dollar-Marke enden, und die Goldblase wird platzen. Längerfristig richtig, aber viel zu früh

2.12.2009: Es wird wegen des Widerstands der ÖVP in Österreich keine Besteuerung von Kursgewinnen geben. Falsch

19.5.2010: Die "Kronen Zeitung" wird nach dem Tod von Hans Dichand dramatisch verlieren. Teils richtig, teils falsch

24.7.2010: Andreas Papandreou wird mit seiner Politik Erfolg haben, Viktor Orban wird scheitern. Falsch

24.12.2010: Die Eurokrise wird im Jahr 2011 vorübergehen. Völlig falsch

Fehleinschätzung Maria Fekters

13.4.2011: Maria Fekter wird eine gute Finanzministerin werden. Falsch

8.5.2011: Griechenland wird im Euro bleiben und einen Schuldenschnitt erhalten. Richtig

4.8.2011: US-Präsident Obama wird gegen den Widerstand der Republikaner Steuererhöhungen durchsetzen. Richtig

21.9.2011: Das Wirtschaftswunderland Türkei wird wegen seines riesigen Leistungsbilanzdefizits finanzielle Probleme bekommen. Richtig

12.10.2011: Die billige Jahreskarte der Wiener Linien wird wenige neue Fahrgäste bringen. Falsch

8.11.2011: Meinungsänderung zu Griechenland: Ein Euroaustritt steht knapp bevor. Falsch

Draghi war das richtige Pferd

25.12.2011: Die neue Geldpolitik von EZB-Präsident Mario Draghi wird den Euro stabilisieren. Richtig

20.3.2012: Nicolas Sarkozy wird die Wiederwahl als französischer Staatspräsident knapp schaffen. Falsch

18.4.2012: Argentiniens Wirtschaft wird für die Quasi-Enteignung von Spaniens Repsol einen hohen Preis bezahlen. Richtig

9.6.2012: Die spanische Bankenkrise wird den Anstoß für eine Bankenunion geben, die die Eurozone braucht. Richtig 

7.7.2012: Länder wie Italien und Spanien müssen sich längerfristig auf hohe Renditen auf Staatsanleihen einstellen. Falsch 

31.7.2012: Es wird reichen, dass die EZB den unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen ankündigt, um den Euro zu retten. Richtig

22.9.2012: Die US-Demokraten werden auch das Repräsentantenhaus bei den Novemberwahlen gewinnen. Falsch

30.9.2012: Unternehmensanleihen sind riskanter, als es scheint. Richtig (wie die Alpine-Pleite im Juni 2013 zeigte)

Erwin Pröll hielt sich an keine Prognosen

8.10.2012: Erwin Prölls ÖVP wird bei der niederösterreichischen Landtagswahl stark verlieren. Falsch

11.11.2012: Chinas Wirtschaftswachstum wird sich abschwächen. Richtig 

11.12.2012: Salzburgs SP-Chefin Gabi Burgstaller wird am Finanzskandal scheitern. Richtig

23.12.2012: Peugeot, Opel und Fiat werden weiterhin Verluste machen. Richtig

16.2.2013: Das Gerede vom Währungskrieg wird rasch wieder vergehen. Richtig

27.2.2013: Beppe Grillo ist ein verlässlicherer Regierungspartner als Silvio Berlusconi. Falsch

6.3.2013: Venezuelas Wirtschaft wird nach Hugo Chavez' Tod den Bach hinuntergehen. Richtig

10.4.2013: Frank Stronach versteht nichts von Wirtschaft - und das wird ihm im Wahlkampf schaden. Richtig

Erdogans Probleme mit der Wirtschaft

4.6.2013: Die Proteste in der Türkei werden zu einem dramatischen Kapitalabfluss führen. Richtig

4.8.2013: Michael Spindelegger ist zu schwach, um Bundeskanzler zu werden. Richtig

6.10.2013: Samsung wird seinen finanziellen Höhenflug nicht aufrechterhalten können. Richtig

27.10.2013: Diesmal wird es zu einer Arbeitszeitflexibilisierung bei den Metallern kommen. Falsch

7.12.2013: Die Bitcoin-Blase wird bald platzen. Richtig

18.12.2013: Michael Spindelegger ist als Finanzminister ungeeignet. Hat sich rasch als richtig erwiesen

Sechs von zehn waren richtig

Die Bilanz: 22 richtige Prognosen, 13 falsche und zwei unentschiedene - eine Trefferquote von 59 Prozent.

Zugegeben, manche der richtigen Voraussagen waren sehr einfach zu treffen und manche der falschen einfach sehr gewagt. Aber grundsätzlich ist es kaum möglich, viel besser abzuschneiden. Selbst Nobelpreisträger können das nicht, auch wenn Leute wie Paul Krugman immer schon alles richtig vorausgesagt haben wollen.

Wirtschaft und Politik sind meist unberechenbar. Das gilt für die Entwicklungen in der Ukraine genauso wie die Zukunft des europäischen Bankenmarkts. Wenn man mehr als die Hälfte der Zeit richtig liegt, kann man schon recht zufrieden sein. (Eric Frey, derStandard.at, 13.3.2014)