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Der Ökonom Jeffrey D. Sachs warnt: Der nächste Klimagipfel ist die letzte Chance zur Kehrtwende. Kritik übt er an der Politik.

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STANDARD: Sie sind Professor für "nachhaltige Entwicklung". Nachhaltig gibt sich heute jeder, ob Politiker oder Unternehmer. Ist das ernst zu nehmen?

Sachs: In Wahrheit hat sich sehr wenig getan. 2012 haben sich die Regierungen der Welt in Rio getroffen, um eine Bestandsaufnahme zu machen. Das Bild war nicht schön. Die Weltwirtschaft ist in den letzten zwanzig Jahren massiv gewachsen, das ist gut. Die Umweltkrise hat sich aber deutlich verschlimmert. Wir brauchen einen Richtungswechsel, außer netten Worten und unzähligen Gipfeln ist nicht viel passiert.

STANDARD: Haben die Politiker zu lange auf die falschen Leute gehört?

Sachs: Nachhaltige Entwicklung ist kompliziert. Es geht um Wachstum, das ökologisch nachhaltig ist und alle mitnimmt, um langfristige Investitionen in hochwertige Bildung für alle, Grundlagenforschung, klimafreundliche Energien. Das geht nicht von heute auf morgen, das dauert 20 bis 30 Jahre. So weit reicht die politische Aufmerksamkeitsspanne nicht.

STANDARD: Die letzten Jahre waren von der Krise dominiert. Hat sich in puncto Nachhaltigkeit etwas getan?

Sachs: In technologischer Hinsicht schon. Wind- und Solarenergie sind deutlich billiger geworden, bei den Elektroautos tut sich etwas, auch in der Informationstechnologie. An der Umsetzung hapert es. Wir haben keinen klaren Weg, um das Energiesystem CO2-frei zu machen. Europa hat etwa klare Ziele, aber keine Strategie.

STANDARD: Wir hören immer wieder Alarmmeldungen. Wann ist der Kampf gegen den Klimawandel verloren?

Sachs: Es wird schon zu spät, um das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen. Wir wissen, dass das eine wichtige Grenze ist, ab der die Erde und unser Leben hier massiv gestört wird. Deshalb sind die Verhandlungen in Paris im Dezember 2015 von historischer Bedeutung. Nicht nur ich denke so, fast jeder, der sich damit beschäftigt sagt, Paris ist die letzte Chance.

STANDARD: Sie sind ein Mann mit Einfluss. Sind Sie optimistisch?

Sachs: Ich bin nicht optimistisch, möchte den Glauben aber trotzdem nicht verlieren.

STANDARD: Und was die Bekämpfung von Armut betrifft? Sie haben einmal gesagt, wir könnten die Generation sein, die die extreme Armut auf der Welt ganz auslöscht.

Sachs: Seit 1990 geht die Armut auf der Welt bedeutend zurück, in den Entwicklungsländern hat sie sich halbiert. Ich bin optimistisch, dass wir Lösungen finden können. Die Welt ist schwer zu organisieren, aber man könnte es schaffen. Langfristig ist der Klimawandel die größte Gefahr. Wer es jetzt aus der Armut schafft, könnte dadurch wieder zurückfallen. Die Situation in Syrien ist etwa auch eine Klimakrise, teilweise verursacht durch die massive Trockenheit in den letzten zehn Jahren.

STANDARD: Indien und China sind positive Beispiele für Armutsbekämpfung. Andere Länder wie Mali, Somalia oder Sudan haben aber doch Probleme, auf die man wenig Einfluss hat?

Sachs: Das sind alles sehr trockene Regionen, der Klimawandel übt hier großen Druck aus. Ein gutes Beispiel ist der Film Captain Philipps. Ein verarmter Somali verdient sein Geld als Pirat und kapert ein US-Frachtschiff. Die Amerikaner kommen mit Schiffen und Hubschraubern, die wahrscheinlich Milliarden gekostet haben, um den Kapitän des Schiffs zu retten. Hätte man stattdessen 100.000 Dollar in das Fischerdorf des Somali investiert und dem Mann Arbeit gegeben, wäre das alles nicht passiert.

STANDARD: Nach Jahrzehnten von Entwicklungshilfe: Ist Geld wirklich die Lösung?

Sachs: Gezielt eingesetzt, ja. Was etwa Malaria, HIV und Aids betrifft, sind wir auf dem richtigen Weg. (Andreas Sator, DER STANDARD, 13.3.2014)