Eine Überraschung war die Wahl vielleicht, eine echte Sensation sicher nicht. Auch wenn die Welt in den Abendstunden des 13. März des Vorjahres durchaus erstaunt auf die Benediktionsloggia blickte, als der große Unbekannte mit altmodischer Brille und einem unsicheren Lächeln im Gesicht vor den Vorhang trat - hinter vatikanischen Mauern war die argentinische "Aktie" längst heiß.
Denn eigentlich hätte Jorge Mario Bergoglio bereits 2005 seinen geliebten Mate-Tee zur Seite stellen und sich im Petersdom reinen Wein einschenken lassen können. Der argentinische Kardinal galt bereits vor acht Jahren als heißer Kandidat auf den Heiligen Stuhl - verzichtete aber damals zugunsten Joseph Ratzingers auf seine Wahl zum Papst.
Doch der Kreis schließt sich im Vorjahr. Papst Benedikt XVI. - der große Theologe, gescheitert im Amt an seinem eigenen Konservatismus und der reformresistenten Kurie - ebnet mit seinem Rückzug den Weg für den neuen "Pop(e)star" am Kirchenhimmel.
Dessen unkonventionelle Amtsführung sorgt dafür, dass Kirche wieder (positiv) im Gespräch ist. Nährstoff für die neue Saat der Hoffnung sind auch die kleinen Alltagsepisoden: ein Papst, der sich beim Kaffeeautomaten anstellt oder zu später Stunde allein im alten R4 durch Rom fährt, um Lampedusa-Flüchtlinge zu besuchen. All das trägt zum neuen Positivimage bei - ganz egal, ob sich die Geschichten tatsächlich so zugetragen haben.
Papst Franziskus hat den Stuhl Petri bestiegen, als die Aktien des Vatikans im Keller waren: Missbrauchsskandal, Vatileaks, Vatikanbank. Das Klima unter den Kardinälen war beim Konklave entsprechend schlecht. Betrachtet man die miserable Ausgangslage, kann man das erste Jahr des neuen Papstes nur als Erfolgsgeschichte verbuchen. Die "Marke" Franziskus stimmt. Die große Stärke des neuen Papstes ist seine Person, der Schlüssel zum Welterfolg heißt Authentizität. Gelebte und nicht nur gepredigte Bescheidenheit und Demut. Ein weiser alter Mann, der lacht und herzlich ist - das hat man bislang nur vom Dalai Lama gekannt.
Doch im Chor der Engel geht die konservative Stimme unter: Große Veränderungen wird es unter dem 77-Jährigen nicht geben - nicht im Sinne von politischen Reformen. Franziskus fährt in Fragen der Abtreibung, der gleichgeschlechtlichen Liebe, der Rolle der Frauen in der Kirche, der Sexualmoral und der Benutzung von Kondomen und Pille einen unverrückbar konservativen Kurs.
Dennoch hält sich hinter vatikanischen Mauern der Applaus in Grenzen. Ein Papst, der publikumswirksam auf Prunk und Protz verzichtet und fast schon inflationär Reformideen unters Kirchenvolk streut, lässt die Kurie mittlerweile um die Ausnahmestellung des Papstamtes fürchten. Zu unüberlegt, zu wenig theologisch seien die Aussagen, zu wenig traditionell das Amtsverständnis des Pontifex. Es wird spannend, wie lange die Kurie den Papst noch an der langen Leine lässt. Man darf nicht vergessen, dass im Vatikan nur der Mann in Weiß neu im Amt ist. In der zweiten Reihe ist die Macht klar aufgeteilt, die konservativen Kräfte uneingeschränkt stark.
Aber selbst wenn Franziskus irgendwann über eine wohlplatzierte rot-goldene Pektoralkordel stolpert: Er wird als Reformpapst in die Kirchengeschichte eingehen. Das Papstamt ist neu definiert, das Anforderungsprofil für den Stuhl Petri mit deutlich mehr Menschlichkeit versehen. (Markus Rohrhofer, DER STANDARD, 13.3.2014)