Innsbruck/Wien - In der Quantenwelt mit ihren paradoxen Phänomenen ist vieles anders als man erwarten würde. Das gilt auch für das Chaos: Versteht man darunter umgangssprachlich große Unordnung, ist Chaos im physikalischen Sinn ein wohlgeordnetes System, das aber so komplex ist, dass sein Verhalten nicht vorhersagbar ist. Ein solches Chaos haben Innsbrucker Physiker nun in ultrakalten Gasen entdeckt, berichten sie aktuell in "Nature".

Francesca Ferlaino vom Institut für Experimentalphysik der Uni Innsbruck ist es 2012 erstmals gelungen, ein sogenanntes Bose-Einstein-Kondensat (BEC) aus dem Element Erbium zu erzeugen. In diesem Zustand bei Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt (minus 273,15 Grad Celsius) haben die Atome ihre Individualität völlig verloren, schwingen im gleichen Takt - so wie die Lichtteilchen in einem Laser - und verhalten sich als gemeinsames Quanten-Objekt.

Aber auch bei etwas höheren Temperaturen - immer noch nur wenige hundert Nanograd über dem absoluten Nullpunkt - zeigen die Erbiumatome faszinierendes Verhalten: Die Wissenschafter bringen eine Wolke ultrakalter Erbiumatome in eine Laserfalle und können dann mit Hilfe eines Magnetfelds "in sehr kontrollierter Weise bestimmen, wie die Atome interagieren", berichtet Ferlaino.

Verformte Elektronenhüllen

Billardkugeln gleich stoßen die Atome in der Wolke aneinander, können dabei aber auch für kurze oder längere Zeit "zusammenkleben" und ein Molekül bilden. "Wie das passiert und wie oft, können wir mit dem Magnetfeld beeinflussen", so die Physikerin, die 2009 den österreichischen Start-Preis, 2010 einen Starting Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC) und im Vorjahr mit einer Alexander von Humboldt-Professur den höchstdotierten internationalen Forschungspreis Deutschlands erhalten hat. Ob sie diese Professur annehmen wird, ist noch offen.

In ihrer Arbeit konnte Ferlaino zeigen, dass sich die Erbiumatome unter den verschiedensten Einstellungen des Magnetfelds viel öfter zu Molekülen verbinden als man bisher angenommen und in anderen bisher untersuchen Elementen beobachtet hat. "Das ist ohne Beispiel in der Physik ultrakalter Quantengase", so Albert Frisch aus Ferlainos Team.

Der Grund dafür liegt in den besonderen Eigenschaften des Erbiums, das vergleichsweise schwer ist und einen stark magnetischen Charakter besitzt: Während man sich üblicherweise den Atomkern von einer kugelförmigen Elektronenhülle umgeben vorstellt, sind die Elektronenhüllen bei Erbiumatomen stark verformt. "Diese Komplexität der Kugelschalen gibt den Atomen unzählige Möglichkeiten, sich zu Molekülen zu verbinden", so Ferlaino.

Diese Komplexität macht es aber auch unmöglich, das Verhalten einzelner Atome vorherzusagen - es handelt sich also um ein quantenchaotisches System: wohlgeordnet, aber aufgrund seiner Komplexität mit unvorhersagbarem Verhalten. Die Wissenschafter sind deshalb auf statistische Methoden angewiesen, um das Verhalten der Teilchen zu beschreiben. "Uns steht damit ein sehr gut kontrollierbares Experiment zur Verfügung, um chaotische Prozesse genauer zu studieren", so Ferlaino. Mit dieser Arbeit wird auch eine Brücke zur Untersuchung von ultrakalten Gasen aus Molekülen und damit zur ultrakalten Chemie geschlagen. (APA, 13.3.2014)