So wird in Österreich und "Österreich" gegen Mehrsprachigkeit mobilisiert. Wenigstens verrät das Kleingedruckte, worum es bei der irreführenden Schlagzeile wirklich geht.

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Unlängst fand der ehemalige Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz klare Worte: "Ich will, dass wir früher investieren statt später reparieren. Wir müssen den Fokus auf Deutsch setzen. Die Muttersprache ist die Kür, Deutsch ist die Pflicht."

Hintergrund dieser Kampfansage an mangelnde Deutschkenntnisse war eine Studie, wonach 20 Prozent der Schüler in Österreich im Alltag nicht Deutsch sprechen. Laut Statistik Austria sind es 226.547 Schüler, die abseits des Unterrichts nicht Deutsch sprechen. "Am Schulhof, in der U-Bahn oder beim Sport spricht also jeder Fünfte kein Deutsch", hieß es im Onlineportal der Tageszeitung "Österreich" mit dem Hinweis, dass die neue Studie für "Aufregung" sorge.

Worin genau besteht aber die Aufregung? Was ist so schlimm daran, wenn am Schulhof, in der U-Bahn oder beim Sport kein Deutsch gesprochen wird? Oder, fragen wir umgekehrt, was wäre besser, wenn dem nicht so wäre?

Reflexartige Aufregung

Man beobachtet es immer wieder: Sobald in den Medien Sprachkompetenz zahlenmäßig erfasst wird, sobald Schüler in Deutschsprachige und Nichtmuttersprachler eingeteilt werden, kommt es zu einer reflexartigen Hysterie und Ankündigung von Maßnahmen, die diesen Missstand beheben sollen. Selbstverständlich wird niemand, der halbwegs bei Verstand ist, leugnen, dass gute Deutschkenntnisse erstrebenswert sind. Je besser diese sind, desto besser für alle. Die Frage ist aber, wie man sich diesem Idealzustand am besten annähern kann und wie der öffentlich-politische Diskurs über die Sprache sinnvollerweise zu führen ist.

Sprache: Beherrschen und beherrscht werden

Sprache ist (auch) eine emotionale Angelegenheit. Oft sagen wir, wir würden "eine Sprache beherrschen", dabei trifft das Gegenteil mindestens genauso zu: Wir werden von Sprache(n) beherrscht. Manchmal ist es die Sprache selbst, die uns Worte in den Mund legt, die uns zwingt, unsere Gedanken so oder so auszudrücken oder bestimmte Gedanken und Denkweisen erst überhaupt zu entwickeln. Nicht umsonst hat man manchmal das Gefühl, ein ganz anderer Mensch zu sein, wenn man sich in einer anderen Sprache unterhält.

Verdrängungswettbewerb im Hohlgefäß

Unser Gehirn stellen wir uns manchmal wie ein Gefäß oder eine Festplatte vor, wo "gespeicherte" Informationen nur einen begrenzten Platz zur Verfügung haben, wo die Sprachen sich gegenseitig auf die Füße treten und um das knappe Territorium wetteifern. Einerseits hat ein solches Modell eine Berechtigung, denn unsere Lernkapazitäten sind nicht unbegrenzt, und mit unseren Inhalten müssen wir ökonomisch umgehen, um diverse Aufgaben effizient zu bewältigen.

Andererseits könnte nichts weniger zutreffend sein als die Befürchtung, eine Sprache könnte sich "auf Kosten" einer anderen im Kopf "breitmachen", also das Türkische oder Serbokroatische zulasten des Deutschen gehen. Wenn wir beim Gefäßmodell verbleiben, könnten wir uns das Gehirn als ein Gefäß mit endlos dehnbaren Gummiwänden vorstellen, wo jede weitere Sprache die Sprachkompetenz an sich schärft und verbessert.

Sprachkompetenz führt nicht direkt zu Lernerfolg

Was in der Debatte rund um Mehrsprachigkeit gerne verwechselt beziehungsweise in einen Topf geworfen wird, sind Sprachkompetenz und Schulerfolg. Sprachkompetenz ist nur eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für Lernerfolg. Anders lässt es sich nicht erklären, dass nicht alle Schüler mit Deutsch als Muttersprache ausnahmslos Vorzugsschüler sind. Deutschkenntnisse allein können nicht erklären, warum ein Kind guten Schulerfolg hat oder eben nicht.

Türkischverbot am Sportplatz!

Um auf das Kurz'sche Bild von Pflicht und Kür zurückzukommen: Begrüßenswert sind sämtliche Maßnahmen zur Sprachentwicklung. Aber wenig hilfreich ist es, mehrsprachig lebenden Menschen indirekt das Gefühl zu vermitteln, sie würden, indem sie beispielsweise am Sportplatz Türkisch sprechen, gewissermaßen ihrer Deutschkompetenz das Wasser abgraben. Spracherwerb arbeitet nicht in diesen Kategorien, hier leben Pflicht und Kür in Symbiose und lernen voneinander.

Jeder Versuch, den Gebrauch einer Sprache in einem informellen Sektor von oben zu diktieren, ist ein erschreckender Eingriff in die Privatsphäre - auch wenn er "gut gemeint" ist. Wo bleibt die (insbesondere auch von der ÖVP) so gepriesene Freiheit im Privatleben? Wieso will der Staat ausgerechnet hier menschliche Grundrechte diskutieren?

Dialektische Doppelmoral

Das gilt übrigens nicht nur für Fremdsprachen, sondern lässt sich auch auf das Verhältnis zwischen Standardsprache und Dialekt umlegen: Selbstverständlich muss ein Vorarlberger Schüler im Deutschunterricht beweisen, dass er Standardsprache beherrscht, aber bedeutet das im Umkehrschluss, dass er im Freibad auf seinen Dialekt verzichten soll? Was genau wäre damit gewonnen? Und wie würde die ÖVP wohl auf diesen Vorschlag reagieren?

Deutsch, Deutsch über alles

Zahlen wie die von Kurz zitierten verleiten Politiker (und Medien) offenbar zu vereinfachenden (bis hin zu populistischen und polarisierenden) Ansagen. Sie helfen bei der Konstruktion von Schreckgespenstern. Ein umsichtiger und differenzierter Umgang mit Zahlenmaterial in der Politik ist um einiges erstrebenswerter als flächendeckendes Deutsch in der U-Bahn. (Mascha Dabić, daStandard.at, 13.3.2014)