Zusätzlich zu Genom-Analysen führten die Forscher - hier im Bild Sarah Tishkoff mit einer Gruppe Massai - Tests zur Laktosetoleranz durch.

Foto: University of Pennsylvania

Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: REUTERS/Radu Sigheti

Philadelphia - Wer als Erwachsener ein Glas Milch genießen kann, gehört global gesehen einer Minderheit an. Im Wesentlichen sind dazu Menschen mit Vorfahren aus dem nördlichen Europa, Vorder- und Zentralasien sowie Teilen Afrikas in der Lage.

Bei den restlichen drei Vierteln der Weltbevölkerung wird das Verdauungsenzym Laktase, das den Milchzucker aufspaltet, nach dem Kindesalter nicht mehr ausreichend produziert. Die Milch wird unbekömmlich.

Um den eigentlichen Normalzustand der Laktoseintoleranz zu umgehen, waren Veränderungen im Erbgut notwendig. Ein großangelegtes EU-Forschungsprojekt kam 2013 zu dem Schluss, dass sich eine entsprechende Mutation in Europa, von Südosten kommend, vor etwa 8000 Jahren auszubreiten begann. Menschen mit dieser Mutation verdrängten sukzessive die schon länger ansässigen laktoseintoleranten Jäger und Sammler.

Wie die Menschen in Afrika zum Milchtrinken gekommen sein dürften, berichtet eine aktuelle Studie im American Journal of Human Genetics. Forscher um Alessia Ranciaro und Sarah Tishkoff von der University of Pennsylvania führten dazu eine geografisch breit gestreute Genom-Analyse unter den Angehörigen verschiedener afrikanischer Ethnien durch. Insgesamt wurden dafür 819 Menschen aus 63 Volksgruppen untersucht, ergänzt um 154 Nichtafrikaner aus verschiedenen Teilen der Welt.

Die Forscher untersuchten drei Genom-Abschnitte, die mit dem Laktase-regulierenden LCT-Gen in Verbindung gebracht werden. Schon bei einer Studie im Jahr 2007 hatten sie unter Afrikanern drei verschiedene Genvarianten ausfindig gemacht, nun stießen sie auf zwei weitere. Diese fünf Varianten haben sich den Forschern zufolge unabhängig voneinander an verschiedenen Orten entwickelt, doch haben alle das gleiche Ergebnis: Milch bleibt für Erwachsene verdaulich.

Spät erschlossene Ressource

Aus ihren Analysen schließen die Forscher, dass es sich auch bei den afrikanischen Versionen der Laktoseverträglichkeit um vergleichsweise junge evolutionäre Errungenschaften handelt: Sie dürften sich erst vor wenigen tausend Jahren entwickelt haben.

Das ist nicht lange her, denn der moderne Mensch bewohnt seine Urheimat Afrika seit 100.000 Jahren und in seiner Frühform als sogenannter "archaischer Homo sapiens" sogar seit 200.000 Jahren. Dennoch scheinen sich die Milchtrinker hier nicht früher entwickelt zu haben als auf dem Einwandererkontinent Europa.

Die in Europa vorherrschende Genvariante fanden die Forscher auch im Norden Afrikas vor - ein Indiz für Bevölkerungsaustausch. Mit einem geschätzten Alter von maximal 12.000 Jahren ist dies zugleich die älteste Variante.

Etwa 5000 Jahre sollen zwei auf der Arabischen Halbinsel sowie in Ostafrika verbreitete Varianten zurückreichen. Eine weitere, von Kenia bis in den Süden Afrikas reichende Variante geht auf eine Mutation zurück, die die Forscher in der Zeit vor 7000 bis 3000 Jahren ansiedeln.

Als erklärenden Faktor schlagen sie das regional unterschiedlich frühe Aufkommen der Viehzucht vor. Wann immer Menschen mit der Zucht von Rindern oder auch Kamelen begannen, folgte der Milchkonsum auf dem Fuß. Durch Migrationen wurde die neuerworbene Fähigkeit in andere Gebiete getragen und führte schließlich zur heutigen heterogenen Verteilung von Laktose(in)toleranz.

Die Frage, warum sich derartige Mutationen nicht schon vorher durchgesetzt haben, hätte damit ein plausibel klingende Erklärung: Solange Rinder, Schafe und Kamele nur gejagt wurden, war ein volles Euter bestenfalls ein Bonus.

Mit der Zucht der Tiere jedoch wurde die nährstoffreiche Milch plötzlich zu einem regelmäßig verfügbaren Energielieferanten. Wer diese Ressource aufgrund einer zufälligen Mutation nutzen konnte, erhöhte seine Chancen auf ein gesundes und fruchtbares Leben - und darauf, seine neue Erbgutvariante weiterzugeben. (Jürgen Doppler, DER STANDARD, 14.3.2014)