Mittlerweile sind mehr als zwei Jahrzehnte vergangen, seit der damalige US-Präsident George H. W. Bush anlässlich der mehr oder minder geschlossenen Reaktion auf die irakische Invasion Kuwaits, insbesondere des davor jahrzehntelang gelähmten UN-Sicherheitsrats, eine "neue Weltordnung" postulierte. In dieser sollte "die Herrschaft des Rechts (rule of law), nicht das Recht des Dschungels" die zwischenstaatlichen Beziehungen bestimmen. Heute sieht die Sache freilich anders aus.

Die Euphorie währte schon dazumal nicht lange; erste Kritik wurde bereits laut, als die USA und Großbritannien ohne ausreichende rechtliche Grundlage im Norden und Süden des Irak eine Flugverbotszone etablierten– die damalige Begründung, dass man auf die humanitären Erfordernisse reagieren musste, sollte sich später bekanntlich wiederholen.

Zankapfel Kosovo

So geschehen etwa bei den NATO-Luftangriffen auf Serbien 1999, "Operation Allied Force". Auch hier fehlte eine entsprechende rechtliche Basis. Denn Russland, aber auch China legten sich im Sicherheitsrat quer. Unter anderem empfanden sie einen derartigen Eingriff in eine Bürgerkriegssituation als unvereinbar mit der Souveränität des damaligen Jugoslawien. Es folgte eine lange und intensive Debatte hinsichtlich des Verhältnisses zwischen dem Gewaltverbot und der Wahrung von Menschenrechten – eine von Schweden initiierte Untersuchungskommission bezeichnete die Bombardierung letztlich als "illegal, aber gerechtfertigt".

Operation Allied Force führte trotz dieses Versuchs einer salomonischen Beurteilung zu enorm viel Kritik, die bis heute nicht verpufft. Viele Staaten kritisierten neben dem Problem, dass derartige "humanitäre Interventionen" in der Praxis stets nur schwächere Staaten betreffen würden, die Missbrauchsanfälligkeit einer solchen Ausnahme.

Gerade aus letzterem Grund kennt die Satzung der Vereinten Nationen keine entsprechende Ausnahme zum Gewaltverbot. Daher wurde dem "sogenannten Recht auf humanitäre Intervention" von 133 Staaten im Zuge eines G-77-Treffens im Jahr 2000 eine deutliche Absage erteilt. Auch dass der Kosovo unter Verweis auf den Ausnahmecharakter der allgemeinen Situation im ehemaligen Jugoslawien mittlerweile von Staaten wie Großbritannien, Frankreich und vor allem den USA anerkannt wird, stößt vielen bis heute sauer auf – gerade angesichts der Krim-Krise liegt der Geruch von Doppelmoral in der Luft.

Der Irak 2003

Ein wohl noch größerer Aufschrei erfolgte anlässlich der US-Invasion im Irak 2003, dem wohl deutlichsten Beweis für die durch die USA beanspruchte Sonderstellung in der internationalen Ordnung und deren geringe Wertschätzung des Gewaltverbots – jedenfalls dann, wenn es als den eigenen Interessen im Wege stehend angesehen wird. Weder die veranschlagte "präventive Selbstverteidigung" noch andere Argumente wie das "Wiederauflebenlassen" alter Sicherheitsrats-Resolutionen oder gar die humanitäre Notwendigkeit, einen Diktator zu stürzen, wurden von der Staatengemeinschaft akzeptiert – genutzt hat es bekanntlich nichts.

Im Jahr 2008 wanderte der Rechtsbruch-Peter im Zuge des Kaukasuskrieges indes wieder zu Russland; interessanterweise bediente sich der damalige Präsident Dmitri Medwedew dabei unter anderem einer an das Konzept der humanitären Intervention angelehnten Terminologie, was jedoch nichts daran änderte, dass die damaligen Argumente ebenso nicht auf viel Gegenliebe stießen.

Libyen und Syrien

Zuletzt wurde das Spiel in Libyen und Syrien wiederum umgedreht. Im ersten Fall gab es zwar eine Sicherheitsrats-Resolution; dass diese jedoch die Intensität und Dauer der darauffolgenden NATO-Operation abdeckte, die entscheidenden Anteil am Sturz Muammar al-Gaddafis hatte, wurde von Russland und China bestritten. Aufgrund der Isoliertheit des libyschen Despoten war dieses Problem allerdings weniger akut als im Hinblick auf eine mögliche Intervention in Syrien.

Hier ist vor allem ein aus heutiger Sicht äußerst pikanter Artikel von Wladimir Putin in der "New York Times" hervorzuheben. Darin erteilte er drohenden US-Militärschlägen, die wiederum unter dem humanitären Deckmantel firmiert hätten, mit den Worten, "nicht die syrische Regierung, sondern das Völkerrecht" schützen zu wollen, eine Absage – denn "das Recht ist immer noch das Recht, und wir müssen uns daran halten, ob es uns gefällt oder nicht".

Diese Worte erscheinen aus heutiger Sicht freilich zynisch; mindestens so zynisch wie der TV-Auftritt John Kerrys, bei dem dieser das russische Vorgehen auf der Krim mit der Feststellung verurteilte, dass "man schlichtweg nicht auf Grundlage fadenscheiniger Vorwände in einem Land einmarschieren kann, um die eigenen Interessen durchzusetzen" – denn Kerry hatte als Senator 2002 für den Angriff auf den Irak gestimmt.

Fazit: Die Grenzen des Rechts

Das Völkerrecht hat es momentan einmal mehr nicht leicht, um es euphemistisch auszudrücken. Denn wenn es um Krieg beziehungsweise kriegsähnliche Situationen geht, wird seine Anwendung, Interpretation und Befolgung willkürlich: Die wesentlichen Hauptakteure wechseln die Rollen, sind abwechselnd Kläger und Angeklagter. Das Recht verkommt zu einem politischen und beliebig interpretierbaren Instrument, dessen Rolle je nach Interessenlage betont oder heruntergespielt wird. Bei der in Syrien und der Ukraine beobachtbaren Zuspitzung der geopolitischen Lage haben Juristen somit gewiss nicht das letzte Wort. (Ralph Janik, Leserkommentar, derStandard.at, 14.3.2014)

Anmerkung: Am 11. März erschien ein Leserkommentar von Ralph Janik auf derStandard.at, der sich mit der rechtlichen Situation im Krim-Konflikt beschäftigt. Im Forum diskutierten zahlreiche User über ähnliche Fälle, insbesondere den Kosovo-Konflikt, weshalb wir nun einen weiteren Beitrag Janiks zum Thema veröffentlichen.