Ironie der österreichischen Gegenwartsgeschichte: Was dem lebenden Jörg Haider trotz intensivster und untergriffigster Bemühungen nicht gelungen ist, könnte dem toten mit seiner Kärntner Hinterlassenschaft gelingen: die endgültige Auflösung des "Systäms" der rot-schwarzen Koalition. Als laste auf ihr ein Fluch aus der Gruft, als wäre mit der Sonne der Unverbesserlichen auch jene der Unbelehrbaren hinter dem politischen Horizont verschwunden, schreitet deren Verfall, wie alle Wahlen seit langem zeigen, unaufhaltsam voran. Im Fall der SPÖ etwas langsamer, im Fall der ÖVP mit seit der Nationalratswahl zunehmender Beschleunigung.

Seit vielen Wochen vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ehemalige und gegenwärtige Funktionäre der Volkspartei öffentlich entweder zur Geschlossenheit mahnen oder die Führung geißeln, entweder öffentlich machen, sie hätten zuletzt schon eine andere Partei gewählt oder würden es demnächst tun. Rücktritte mehren sich, Achsen formieren sich, eine Partei, die keinen Kopf mehr zu verlieren hat, erkennt sich selbst nicht mehr. Es sind nicht jugendlich-kritische Geister, sondern gestandene Veteranen, die sich in einer verstaubten, verzopften Partei alter Männer entdecken und - das ist neu - ihr Unbehagen darüber öffentlich machen.

Ursache und Kehrseite dieses Unbehagens ist die Hysterie, die aus sich heraus auf konservativere Kreise der Öffentlichkeit zu übertragen Matthias Strolz unter den gegebenen Umständen aus dem Stand heraus gelungen ist. Ein selbstberufener Erneuerer der ÖVP, der erkannt hat, eine Partei, deren Struktur noch immer im ständestaatlichen Reflex einer bündischen Organisation versteinert, wäre, wenn überhaupt, nur von außen der Gesellschaft von heute neo anzupassen.

Die Notwendigkeit eines Anpassungsprozesses an zeitgemäße Bedingungen wird auch innerhalb der SPÖ verspürt, aber weniger dort, wo es gälte, ihn so zu forcieren, dass die Öffentlichkeit etwas davon merkt. Daran wird sich nicht viel ändern, solange man die Erkenntnis verweigert, dass ein Konzept, die Massen zu gewinnen, allein durch das Hofieren eines Massenblattes nicht aufgehen kann. Schon gar nicht, wenn man sich dabei eklatant in der Adresse irrt, ist doch dessen Blattlinie der Parteilinie jener Truppe anverwandt, der die SPÖ kontinuierlich Wähler zutreibt, die nicht einmal der Hypo-Skandal eines Schlechteren, nämlich freiheitlicher Schlitzohrigkeit, belehrt.

Das Versprechen eines neuen Parteiprogramms in vielleicht zwei Jahren wird weder sie zurückholen, noch neue Wählerinnen und Wähler anziehen. Zu Paaren in die Bundesländer getriebene Minister, die dort nichts anderes verbreiten als die Ratlosigkeit ihrer Chefs in Wien, sind kaum das, was die Staatsbürger in Zeiten verpulverter Milliarden ersehnen. Die Koalition steht und fällt damit, wie sie das Land vom Fluch aus der Kärntner Gruft erlöst. Kommt sie mit diesem giftigen Erbe zurecht, unter möglichster Schonung der Steuerzahler und indem sie Profiteure der Pleite zur Mitverantwortung heranzieht, hat sie eine Chance. Wenn nicht, wird es auch späte Erneuerung nicht bringen. Dann hat ein Toter sein Ziel zu Lebzeiten erreicht. (Günther Traxler, DER STANDARD, 14.3.2014)