Mads Brügger als Mr. Cortzen zu Besuch bei den Pygmäen, die ihm bei der Errichtung einer Zündholzfabrik helfen sollen.

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Als Konsul von Liberia gelingt es Brügger problemlos einen Deal mit dem Betreiber einer Diamantenmine abzuschließen.

 

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Mads Brügger auf Kurzbesuch in Wien.

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Für seine Filme wagt der dänische Journalist Mads Brügger mehr als andere. 2009 ging er als Komödiant nach Nordkorea, um Eindrücke aus dem abgeschotteten Land liefern zu können. Für seinen letzten Film "The Ambassador" kaufte er einen Diplomatenpass von dubiösen Zwischenhändlern und gab sich anschließend als Konsul des afrikanischen Staates Liberia aus. Mit versteckten Kameras zeichnete er seine eigenen korrupten Geschäfte mit Politikern und Besitzern von Diamantenminen in Zentralafrika auf. Die Fassade hielt bis zum Schluss, obwohl beispielsweise ein für den Film interviewter Sicherheitschef wenige Wochen später tot aufgefunden wurde.

Im Interview mit derStandard.at spricht Brügger über seine Rolle als Diplomat Mr. Cortzen, den derzeitigen Konflikt in der Zentralafrikanischen Republik und wie Frankreich mit 400 Soldaten den Lauf der Geschichte in Afrika ändern kann.

derStandard.at: Wie haben Sie die 135.000 Dollar aufgebracht, um einen Diplomatenpass kaufen zu können?

Brügger: Das Geld kam vom dänischen Filminstitut, das sozusagen mein "Sugar Daddy" war. Nachdem wir uns auf die Voraussetzungen für den Film geeinigt hatten, habe ich ihnen gesagt, es gibt nur All-in oder All-out. Wenn ich mich als reicher Geschäftsmann ausgebe und die Leute draufgekommen wären, dass ich kein Geld habe, wäre es sehr gefährlich geworden.

derStandard.at: Wie können solche Geschäfte, wie das Verkaufen von Diplomatenpässen, überhaupt in Europa vor den Augen der Behörden passieren?

Brügger: Es ist eine Grauzone. Es ist nicht per se illegal, obwohl es natürlich darum geht, Souveränität an nichtnationale Entitäten zu verkaufen. Aber es entscheidet immer noch der Staat, wer ihn im Ausland repräsentiert. Die entscheidende Frage ist: Werden diese Leute eingehend überprüft? Der Traum eines jeden Kriminellen ist es, einen Diplomatenpass zu haben. In Liberia ist es so: Wer mit genug Geld auftaucht, dem werden keine Fragen mehr gestellt.

derStandard.at: Wie kam Ihnen überhaupt die Idee zu dem Film? War er in der Form nur in Liberia und der Republik Zentralafrika möglich?

Brügger: Ich habe als Kind viele Comicbücher über Phantom, einen afrikanischen Superhero, gelesen und in den TV-Nachrichten immer diese beeindruckenden Bilder von starken Männern wie Idi Amin, Mobutu und Gaddafi gesehen. Das hat meine Fantasien geprägt, die ebenso Teil des Filmes sind, wie auch die Fantasien von Afrikanern über Weiße. Ich verkörpere ja das Klischee und die schwarze Fantasie vom weißen Superdiplomaten.

derStandard.at: Das kritisieren sicherlich viele Leute. Sie präsentieren sich hier als skrupelloser, arroganter, reicher weißer Mann. Haben die Leute das erwartet?

Brügger: Ja. Denn an keinem Punkt während des Drehs hat irgendjemand die offensichtlichste aller Fragen gestellt, die da wäre: Wieso sind gerade Sie – eine sehr weiße Person – Repräsentant eines afrikanischen Staates in einem anderen afrikanischen Staat? Das ist schon sehr merkwürdig und beweist mir, dass das System maßgeschneidert ist für Charaktere wie Mr. Cortzen (Brüggers falscher Name im Film, Anm.) ist.

derStandard.at: Haben Sie Diplomaten getroffen, die sich ähnlich wie Sie selbst verhalten haben?

Brügger: Schon, sie waren allerdings nicht so gut angezogen wie ich (lacht). Es muss einem klar sein, dass es für jeden Diplomaten die ultimative Strafe ist, in die Zentralafrikanische Republik entsandt zu werden. Sie werden dich nur dorthin schicken, wenn du ein Idiot oder Alkoholiker bist oder etwas verbrochen hast. Das diplomatische und konsularische Corps dort besteht aus verrückten Leuten. Sie sind verrückter als der Charakter, den ich im Film gebe.

Was man auch sehr schnell spürt, ist der grassierende Rassismus. Die Leute dort sind besessen vom Konzept der Rasse. Es geht Schwarze gegen Weiße, Weiße gegen Schwarze, Schwarze gegen Gelbe. Aber auch Schwarze gegen Schwarze. Oder gegen einzelne Stämme.

derStandard.at: In dem ganzen Prozess hat niemand Ihre Herkunft überprüft, Ihre Motive hinterfragt?

Brügger: Mir wurde gesagt, dass mich die liberische Sicherheitsbehörde überprüfen würde, was natürlich beunruhigend klang. Aber sobald man weiß, wie die Sicherheitsbehörde funktioniert, nämlich gar nicht, braucht man sich keine Sorgen mehr zu machen.

In der Zentralafrikanischen Republik war auch eine Gruppe von südafrikanischen Soldaten stationiert, die von einem Geheimdienstoffizier geführt wurde. Er war besessen von mir. Ich habe versucht, ihn auf Abstand zu halten, weil ich wusste, dass es sein Job ist, herauszufinden, wer ich bin. Einmal ist er uneingeladen bei einem Empfang im Konsulat aufgetaucht und verlangte ein Vieraugengespräch. Ich dachte, dass er jetzt weiß, wer ich bin. Er hat dann gesagt: Herr Botschafter, Sie haben alle Eigenschaften eines bewährten und erfahrenen Geheimdienstmitarbeiters, aber natürlich weiß ich, dass Sie darüber nicht reden dürfen. Ich hatte danach sehr gemischte Gefühle, denn in Wahrheit war das ja ein Kompliment, andererseits wurde für mich spürbar, dass alles sehr schnell außer Kontrolle geraten kann.

derStandard.at: Hat die Regierung in Liberia nach dem Bekanntwerden des Filmes irgendetwas unternommen, um die Zustände zu ändern?

Brügger: Die Presse in Liberia hat erstaunlich gut reagiert, verglichen damit, wie es sonst um das Land bestellt ist. Sie haben das gesamte Diplomatencorps überprüft. Sie haben zehn andere Mr. Cortzens identifizieren können, inklusive eines Botschafters in Südkorea. Die liberische Präsidentin Ellen Johnson Sirleaf war natürlich sehr verärgert und wollte, dass mich Dänemark verhaftet und ausliefert. Sie versprach eine großangelegte Untersuchung. Aber natürlich ist nichts passiert. Sie selbst war es ja, die meine Dokumente unterschrieben hat.

derStandard.at: Gegen Ende des Films erhalten Sie schließlich auch Diamanten. Was haben Sie mit denen gemacht?

Brügger: Ich hätte sie mühelos innerhalb Afrikas schmuggeln können. Letztendlich habe ich sie an syrisch-armenische Diamantendealer in Bangui verkauft. Das Geld, das ich dadurch bekam, habe ich den Pygmäen für die Streichholzfabrik, die ich ja vorgeblich errichten wollte, gegeben.

derStandard.at: Glauben Sie, dass es dort jetzt eine Streichholzfabrik gibt?

Brügger: Es würde mich sehr überraschen. Wir reden über ein Land, in dem jede Art von industrieller Produktionsweise untergegangen ist wegen der Korruption. Das letzte wichtige Unternehmen dort war die lokale Brauerei Mocaf. Die musste auch zusperren, weil die Minister zu hohe Bestechungsgelder verlangt haben.

derStandard.at: Haben Sie mit Ihrer Doku denn vor Ort auch irgendetwas Gutes bewirken können?

Brügger: Wenn ich mit Afrikanern über den Film diskutiere, scheinen sie sehr erfreut zu sein über meinen Zugang. Es ist im Gegensatz zu den meisten Filmen über Afrika, die doch nur Mitleid erzeugen wollen, ein sehr zynischer Film. Afrikaner wissen, wie korrupt ihre Politiker sind. Mein Film zeigt ihnen, wie es in der Praxis funktioniert. Auf lange Sicht gesehen, kann ein Film zumindest ein kleiner Game-Changer sein.

derStandard.at: Sie sagen: "Hilfsgelder aus dem Ausland sind für die Zentralafrikanische Republik das, was Kokain für Kolumbien ist." Nach Ihren Erfahrungen dort: Wie kann man Korruption und Ausbeutung in diesen Ländern eindämmen?

Brügger: Die Zentralafrikanische Republik ist die Endstation der Korrupten. Hier definiert Korruption alle Formen von sozialen Beziehungen. Ich glaube, dass in diesem Stadium wirklich nicht mehr viel getan werden kann. Ich habe mehrere Diplomaten getroffen, die mir gesagt haben, dass dieses Land in den nächsten zehn Jahren aufhören wird zu existieren. Es wird von den umliegenden Staaten, wie Kamerun, Tschad, Sudan, verschlungen werden.

Die Einzigen, die etwas gegen die Situation tun könnten, sind die Franzosen. Aber für Frankreich ist es wichtiger, den Einfluss im frankophonen Afrika nicht zu verlieren. Ohne seine Einflussgebiete wäre Frankreich ein mittelmäßiger Staat in Europa. Afrika verleiht Frankreich noch internationales Gewicht. Es ist der einzige Platz auf der Welt, wo man mit 400 Soldaten den Lauf der Geschichte ändern kann. Aber wenn man das etablierte System, das Frankreich mit seinen eigenen Kolonien hegt, kennenlernt, realisiert man auch, dass Frankreich nicht die Lösung, sondern eine der Hauptursachen der Korruption ist.

derStandard.at: Wie wird Frankreich vom Gros der Bevölkerung wahrgenommen?

Brügger: Das Traurige ist, die zentralafrikanische Bevölkerung sieht Frankreich als Elternteil, der sie verlassen hat. Als die Seleka-Rebellen sich letztes Jahr Bangui genähert haben, haben viele Menschen vor der französischen Botschaft demonstriert mit der Bitte, doch zu helfen. Sie wussten, dass Chaos und Krieg ausbrechen würden, sobald die Rebellen die Stadt eingenommen haben. Frankreich hat nicht reagiert. Es wäre aber ein Leichtes gewesen, Bangui zu verteidigen.

derStandard.at: Warum haben die Franzosen es nicht getan?

Brügger: Ich weiß es nicht. Jetzt daran etwas zu ändern ist um sehr vieles schwieriger. Wenn man die Rebellen gestoppt hätte, wären wir heute nicht in einer Situation, wo man tausende Soldaten nach Zentralafrika schicken muss. Experten sagen, Frankreich mochte den damaligen Präsidenten François Bozizé nicht. Die Franzosen haben sich verschätzt und gedacht, sie können mit den Rebellen zusammenarbeiten. Aber die Dinge sind außer Kontrolle geraten. Als ich dort war, gab es keine religiösen Spannungen zwischen Muslimen und Christen. Jetzt ist es ein sektiererischer Zoo.

derStandard.at: Um in Nordkorea überhaupt filmen zu können, sind Sie mit zwei Jugendlichen als Theatergruppe nach Pjöngjang gereist und aufgetreten. Welche Folgen hatte die Veröffentlichung Ihrer Doku "The Red Chapel"? Haben Sie damit auch Nordkoreaner in Gefahr gebracht?

Brügger: Die einzige offizielle Reaktion kam vom Botschafter in Stockholm – in Dänemark gibt es keinen –, der einen Brief an das dänische Fernsehen geschickt hat, in dem er mich als Tier ohne Gewissen bezeichnet hat. Das große ethische Problem und die Frage ist, ob die Menschen, die im Film vorkommen, dadurch Nachteile erfahren haben. Ich weiß, dass einige noch einmal eine ideologische Erziehung über sich ergehen lassen mussten, aber das könnte natürlich auch ein Euphemismus für härtere Strafen sein. Angeblich sind alle wieder zurück in ihren Jobs. Aber ob das stimmt, kann man nie zu 100 Prozent wissen. Sie könnten natürlich auch tot sein.

Die Frage, die man sich trotzdem immer wieder stellen muss: Lässt man dieses Volk alleine oder nicht? Ich bin sehr besorgt darüber, dass 24 Millionen Menschen in einem albtraumhaften Sklavenstaat wie Nordkorea leben. Man muss regelmäßig daran erinnern, denn es gibt leider die Tendenz, über Nordkorea zu lachen. Viele realisieren nicht, dass das ein mörderisches Regime ist. Deshalb ist es so wichtig, sich dort hineinzuwagen, um zumindest einen kleinen Eindruck davon zu bekommen, was dort passiert. Ansonsten wird in den Medien nur die Dennis-Rodman-Version erzählt.

derStandard.at: Was machen Sie aus Rodmans Besuchen in Nordkorea?

Brügger: Die Leute vergessen, dass es solche bizarren Besuche schon früher gab. In den 1980er-Jahren wurden amerikanische Wrestler für ein Turnier nach Pjöngjang geflogen. 

Nordkorea ist die alkoholabhängigste Gesellschaft der Welt. Die einzige Freiheit, die noch übrig bleibt, ist das Recht zu rauchen und sich zu betrinken. Deshalb ist man dort andauernd mit betrunkenen Leuten konfrontiert. Eine Verhandlung in Nordkorea besteht daraus, das Besäufnis mit nordkoreanischen Offiziellen auszudehnen. Es hat mich daher nicht überrascht, dass Dennis Rodman nach seinem Aufenthalt betrunken im Fernsehen aufgetreten ist. (Teresa Eder, derStandard.at, 17.3.2014)