Jean Echenoz, "14". Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel.
€ 15,40 / 125 Seiten, Hanser, Berlin 2014

Cover: Hanser Verlag

Fünf Männer ziehen in den Krieg, eine Frau wartet auf zwei von ihnen. Bleibt zu erfahren, ob sie zurückkommen. Wann. Und in welchem Zustand. So fasst das französische Buchcover den schmalen neuen Roman von Jean Echenoz zusammen, nüchtern zugespitzt, wie das sein Stil ist. Seine Generation hat mit Le Clézio einen Nobelpreisträger und so bedeutende Romanciers wie Modiano, Quignard oder Michon hervorgebracht - mir gilt Echenoz als der großartigste Sprachkünstler. Sein Französisch ist klar, prägnant, und immer wieder überraschend, als würden die Sätze kurz in ungeahnte Tiefen abtauchen. Es verleiht dem Erzählbogen eine vielschichtige Spannung, zugleich untergräbt er seine Romane subversiv, indem er das scheinbar Periphere plötzlich unaufgeregt ins Licht rückt, während er wesentliche Informationen geradezu beiläufig bringt. In den tollen frühen Werken Cherokee (1983) und L'équipée malaise (1987; sollte unbedingt eine Neuübersetzung erfahren!) spielt Echenoz noch intensiver als in seinen jüngsten Büchern mit Genremustern, die er in eine kunstvolle Konstruktion sowie ein feines Motivnetz, gespickt mit leichter Ironie, versetzt.

In seinem jüngsten Roman lässt Echenoz einen Flieger zu Beginn des Ersten Weltkriegs nicht ins Irgendwo abstürzen, sondern ins Gemeindegebiet von Jonchery-sur-Vesle - und fügt in der unnötigen Art klassischen französischen Schulwissens hinzu, dass man die Einwohner des hübschen Dorfes "Joncaviduliens" zu nennen habe. Dieses Echenoz-Erzählen führt nun äußerst ansprechend in den - mit dem Titelsignal 14 auf das knappste, wie von einem Schuss, bezeichneten - "Großen Krieg". Der Roman fängt an einem schönen Augustsamstag mit einem Radausflug von Nantes in Richtung Westen, in die Vendée, an. Auf einem Hügel vernimmt der gemütliche Radler die Sturmglocken aller Kirchen der vor ihm liegenden Ebene. Der Kriegsbeginn erscheint zunächst als Zeichen in der Ferne, von einem sicheren Oben herab beobachtet (dass diese Perspektive tödlich sein kann, erfährt einer der Protagonisten nur einige Wochen später). Mit der Gemütlichkeit ist es nicht gleich vorbei. Fünf junge Männer aus Nantes rücken ein. Sie ziehen, glauben sie, für ein kurzes Abenteuer Richtung Osten, während die Industriellentochter Blanche ihr gediegenes Ambiente nicht verlassen muss, um eine uneheliche Schwangerschaft zu erleben. Wie diese Figuren zueinandergekommen sind, bleibt unklar; eine wesentliche Verbindung ersieht man erst in der Mitte des Buches.

Bald aber nimmt der Krieg zum Erstaunen der Soldaten unbekannte Formen an. Echenoz verdeutlicht dies mit einem seltenen Bild während der ersten Kämpfe. Die Infanteristen greifen an, die Soldaten verstehen im Moment gar nichts, "wie es der Brauch ist" - und hinten spielt die Regimentskapelle die Marseillaise. Nur: Bald fällt das eine und andere Instrument aus, beim Takt mit den Worten "das blutbefleckte Banner" töten Kugeln "die Flöte" und "das Althorn". Nach dem langen Anmarsch die Schützengräben. Indem man versuche, ein Maximum von denen da drüben zu töten und ein Minimum an Metern zu gewinnen, je nach Laune der Kommandanten, da sei man steckengeblieben. Der Krieg verändert alles: Verhalten, Landschaft, sogar die Tierwelt, wie Echenoz in bitterer Ironie ausführt. So habe der Mangel die Speisegewohnheiten gebrochen und mittels eines Ragouts habe man einige Male sogar den Igel "rehabilitieren" können.

Mit seinen Figuren taucht der Erzähler ins Geschehen ein, tritt jedoch mitunter plötzlich in einem Halbsatz in seiner knappen Manier in die Distanz der heutigen Perspektive zurück. Eine seiner raren Reflexionen weiß, dass diese Kämpfe schon tausendmal beschrieben wurden. Derart allerdings noch nicht. (Klaus Zeyringer, Album, DER STANDARD, 15./16.3.2014)