Walter Klier, "Der längste Sommer. Eine Erinnerung". € 18,90 / 172 Seiten. Limbus, Innsbruck 2013

Cover: Limbus Verlag

Ein (fiktiver) Schriftsteller, dem nie der sogenannte Durchbruch gelungen ist, obwohl ihm, jedenfalls seiner eigenen Einschätzung nach, hohe Auflagenzahlen in den ersten Verlagshäusern und namhafte Auszeichnungen längst schon zustünden, hält fest, was ihm noch zu- und einfällt. Er erinnert sich also an die Zeit, in der er sein Germanistik-Studium abgebrochen und ernsthaft mit dem Schreiben begonnen hat, an die Beziehungen und Abenteuer, vor allem auch an die Hoffnungen und Illusionen, die ihn in dieser Phase beschäftigt haben.

Aber er schreibt keine Autobiografie, auch keinen Roman, sondern einen Bericht, der vom ersten bis zum letzten Absatz unprätentiös und lakonisch-trocken komponiert ist: ein Meister der Selbstironie; in der österreichischen Literaturszene gibt es keinen, der seinem Autor gegenwärtig auf diesem Feld das Wasser reichen könnte.

Schon einmal sei ihm, erzählt Walter Kliers (fiktiver) Schriftsteller, ein ähnliches Werk gelungen. Seinerzeit eben, in den Anfangsjahren seiner Laufbahn, als er, eingeladen zu einem schon damals bekannten Klagenfurter Wettbewerb, den Anfang eines neuen Romans, "auf die richtige Länge mit Schere und Klebstoff grob gekürzt", erstmals vorgetragen hat: "Da schreibt ein etwas heruntergekommener Bohemien auf eine Kontaktanzeige hin an eine Unbekannte einen langen Brief, worin er sein Leben erzählt und sich in dem Maß, wie er fortschreibt, damit immer weniger begehrenswert macht, von der Bekennerwut fortgerissen, wobei man noch gar nicht wissen kann, ob er das nicht alles bloß erfindet." "Inzwischen", befürchtet er, "hat die Frequenz neuer Erzählideen stark abgenommen, und ich begnüge mich stattdessen damit, aufzuschreiben, woran ich mich noch erinnere." Ein Understatement, wie's im Buche steht. Denn dieser Schriftsteller sieht nach wie vor mit hellwachen Augen, was zählt, im Leben wie in der Literatur, und was vergleichsweise wenig wiegt, und er sieht nach wie vor genug Gründe, sich über seine Welt, mehr noch aber über sich selbst zu echauffieren; außen zu stehen, das schärft den Blick.

Der Häuptling der Klagenfurter Jury, unverkennbar charakterisiert, hat damals, das muss im Jahr 1982 gewesen sein, dem Autor übrigens keinen Preis zugesprochen, jedoch immerhin bestätigt: "Der Mann kann schreiben." - 1988 hat Klier noch einmal am Bachmann-Wettbewerb teilgenommen. Im Buch fließen die Erinnerungen an die beiden Ereignisse zusammen zu einem satirischen Strom auf einen Literaturbetrieb, der nicht nur Klier die ihm zustehende Anerkennung oft und oft versagt hat (man muss nur einmal nachblättern, welche Autorinnen und Autoren in diesen Jahren mit leeren Händen aus Klagenfurt nach Hause zurückgekehrt sind).

Autofiktion. Mit diesem Begriff, der auf den französischen Schriftsteller und Literaturkritiker Serge Doubrovsky zurückgeht, ist am besten zu umschreiben, was Klier im Sinn hat: einerseits die Fakten nicht bis zur Unkenntlichkeit zu verwischen, andererseits die Möglichkeiten des fiktionalen Schreibens souverän zu nutzen. Der längste Sommer zieht sich, in der Erinnerung, über etliche Jahre hin. Was sich in diesem Zeitraum zuträgt, im privaten wie im öffentlichen Leben, auf den zentralen Schauplätzen, in Innsbruck und in Aix-en-Provence, wird im Akt des Aufschreibens strukturiert, stilisiert und nicht zuletzt mit feinem Humor gewürzt, unter Beimischung vieler Anspielungen auf Persönlichkeiten, die unschwer wiederzuerkennen sind, wie auch auf Passagen aus dem Reich der Literatur. In diesem Schreibprozess lösen sich die Wahrnehmungen des Erzählers elegant aus den Festlegungen durch Ortsbindungen ebenso wie aus den Fesseln der mehr oder weniger hilfreichen Kommentare des Literaturbetriebs, die von allem Anfang an den Schriftsteller und sein Werk begleitet haben: Walter Klier ist ein Prosaglanzstück gelungen, das dem Autor endlich jenen Durchbruch sichern sollte, von dem sein (fiktiver) Schriftsteller in den ersten Jahren seiner Karriere nur hat träumen können. (Johann Holzner, Album, DER STANDARD, 15./16.3.2014)