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Ein kosovarischer Fußballfan bei einem Match in Mitrovica.

Foto: APA/EPA/Babani

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Pro-russische Demonstranten in Donetsk.

Foto: Reuters/Stringer

Einmal Apfel, einmal Banane. In dem aktuellen Konflikt um die Halbinsel Krim zwischen Russland und der Ukraine wird der Kosovo, der sich 2008 unilateral für unabhängig erklärte, von allen möglichen Seiten als Argument für die jeweilige politische Haltung herangezogen. So bezog sich der Oberste Sowjet der Krim ausdrücklich auf die Meinung des Internationalen Gerichtshofs, der im Jahr 2010 feststelle, dass die Unabhängigkeit des Kosovo kein internationales Recht gebrochen habe. Der Kosovo wurde in diesem Fall als Präzedenzfall herangezogen, um das eigene Vorgehen – nämlich das Bestreben die Krim von der Ukraine abzuspalten – zu rechtfertigen.

Der russische Präsident Putin zog den Kosovo-Vergleich bereits im Fall von Georgien, wo es um die Abspaltung von Abchasien und Südossetien ging. Nun verteidigte er seine Krim-Politik damit, dass das Recht der Völker auf Selbstbestimmung nicht abgeschafft worden sei, wenn auch die Abspaltung der kosovarischen Albaner in vielen Weltteilen zugelassen worden sei. Die Argumentation Moskaus ist freilich inkonsistent, denn offiziell ist man nach wie vor gegen die Unabhängigkeit des Kosovos, wie auch die russische Botschaft in Belgrad betonte.

Verwirrung in Serbien

In Serbien sorgte Putins Argument jedenfalls für Verwirrung unter Nationalisten, die sich gerade in der Kosovo-Frage bisher immer auf Putin bezogen. Schließlich verweigert Russland eine Anerkennung des Kosovo innerhalb der Uno und Serbien stützt sich darauf. Slobodan Samardžić von der nationalistischen DSS sprach von einer "falschen Analogie", die Putin gemacht habe. Diese sei ihm wohl in aller Eile unterlaufen, versuchte er Putins Politik einzuordnen. Andere Nationalisten in Serbien schafften es indes sogar Russlands Position so umzudeuten, dass sowohl Putins Kosovo-Vergleich als auch der Anspruch Serbiens auf den Kosovo scheinbar logisch erscheinen sollten. "Die Krim ist Russland, der Kosovo ist Serbien", schrieben Demonstranten in Belgrad auf ein Plakat und taten demnach fast so als ginge es darum die Krim als Teil Russlands zu bewahren, obwohl die Halbinsel zur Ukraine gehört. 

Wo auch immer der Kosovo-Vergleich in den vergangenen Tagen auftauchte, er sorgte jedenfalls immer für Verwirrung. Ausgerechnet der ehemalige deutsche Kanzler Gerhard Schröder, der die Nato-Intervention 1999 gegen Serbien politisch mitzuverantworten hat, verglich plötzlich die Verletzung des Völkerrechts im Bezug auf die Krim mit jener bezüglich des Kosovo 1999. Auch im Fall des Kosovo habe man internationales Recht verletzt, indem die Nato einen souveränen Staat bombardiert habe, meinte er. Damit lieferte er Munition für den serbischen Premierminister Ivica Dačić, der gleich meinte, dass man ja schon immer gesagt habe, dass die Nato-Intervention eine "Aggression" gewesen sei. Jedenfalls sei es eben keine "humanitäre Intervention" gewesen, so Dačić in Bezug auf Schröder. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel wies Schröders Aussagen als "beschämend" zurück.

Der Linzer Völkerrechtler Franz Leidenmühler betont, dass man zwischen einer formalen und einer materiellen Ebene unterscheiden müsse. Auf der formalen Ebene könne man den Kosovo und die Krim durchaus vergleichen. Denn, es gäbe in beiden Fällen Loslösungstendenzen. Im Kosovo habe die Befreiungsarmee UCK auch versucht die Abspaltung gewaltsam zu erzwingen. Doch auf der materiellen Ebene gäbe es einen entscheidenden Unterschied. "Denn auf der Krim gibt es keine Unterdrückung der russischen Bevölkerung", so Leidenmühler. 

Humanitäre Intervention

Im Fall des Kosovo haben Teile der Internationalen Gemeinschaft und die Nato aber argumentiert, dass sie einen Völkermord an den Kosovo-Albanern, wie er in Bosnien-Herzegowina an den Muslimen verübt wurde, verhindern müssten. "Die Nato hat gewusst, dass es illegal ist, aber man hat mit einer humanitären Intervention argumentiert, die schlussendlich zur Abspaltung des Kosovo geführt hat und das ist der entscheidende Unterschied", so Leidenmühler zum Standard. Auf der Krim gäbe es diese Unterdrückungs- und Vertreibungssituation jedoch überhaupt nicht.

Allerdings könne Russland, falls sich die ukrainischen Militärs zurückziehen, Fakten schaffen, wie im Kosovo, wo sich die serbischen Sicherheitskräfte zurückziehen mussten. "Dann wird aus Fakten irgendwann Recht", so Leidenmühler. Der Völkerrechtler von der Universität Linz stellt aber insgesamt den Vergleich mit dem Kosovo infrage. "Für Sezessionen braucht man das Beispiel Kosovo nicht." Denn seit der Existenz von modernen Staaten ab 1648 seien solche immer wieder aufgrund von Sezessionen entstanden und dann auch wieder verschwunden. Der Kosovo sei nur das letzte Beispiel eines Staates in der jüngeren Geschichte, der ohne die Zustimmung des Mutterlandes entstanden sei. Leidenmühler meint, dass es immer darum gehe, ob der Mutterstaat die Gelegenheit verpasse, den Teil des Staates der sich völkerrechtswidrig abspalte, zurück zu erobern. "Wenn sich Vorarlberg abspaltet und man ein halbes Jahr zuwartet und nicht einmarschiert, dann hat Vorarlberg eben Fakten geschaffen."

Auszeichnung für Dodik

Im Fall der Krim versucht auch der bosnisch-serbische Politiker Milorad Dodik Argumentationshilfe zu sammeln. Der Präsident des kleineren bosnischen Landesteils, der Republika Srpska (RS) der die Sezession dieser Entität von Bosnien-Herzegowina anstrebt, bekam diese Woche sogar eine Auszeichnung von der orthodoxen Kirche in Moskau. Die Anerkennung "für die hervorragende Tätigkeit zur Festigung der Einheit der orthodoxen Völker, für die Behauptung und das Voranbringen der christlichen Werte im Leben der Gesellschaft" wurde ihm überreicht, weil er "trotz des Drucks des Westens imstande ist die Republika Srpska zu erhalten und den Prozess ihrer Abschaffung zu stoppen". Dodik versucht ähnlich wie prorussische Kräfte auf der Krim ein Bedrohungsszenario für die Serben in Bosnien-Herzegowina zu zeichnen, das es allerdings in der Realität nicht gibt.

Mit dabei war in Moskau übrigens der bosnische Regisseur Emir Kusturica, der Dodiks politische Ambitionen unterstützt. Anders als Belgrad, versucht Dodik schon seit geraumer Zeit die Abspaltung des Kosovo als Rechtfertigung für seine Sezessionsambitionen bezüglich der RS heranzuziehen. Er agiert damit nicht nur diametral entgegengesetzt der offiziellen Linie Serbiens, sondern hat mit seinen jüngsten Aussagen auch in Kiew Kritik provoziert, zumal seine Argumentation der EU-Position widerspricht. Russland würde agieren "um den Frieden zu bewahren, Blutvergießen und einen Krieg zu vermeiden", hatte Dodik über Russlands Politik auf der Krim geurteilt.

Kein Recht auf Sezession

Leidenmühler betont, dass man den formalen Vergleich zwischen dem Kosovo und anderen Gebieten, in denen die Mehrheit für die Abspaltung sei, immer ziehen könne. "Das gilt auch für Katalonien oder Süd-Ossetien, wie für die Republika Srpska." Allerdings gäbe es kein Recht auf Sezession oder Unabhängigkeit, allenfalls ein moralisches Recht wie im Fall des Kosovo.

Der Westen (die USA und 22 der damals 27 EU-Staaten) haben anlässlich der Unabhängigkeit des Kosovo 2008 stets betont, dass der Kosovo kein Präzedenzfall sei. Doch diese Position wird bis heute nicht von allen Europäern geteilt. Fünf EU-Staaten (die im eigenen Land oft Sezessionsbestrebungen fürchten) haben den Kosovo nicht anerkannt. Der tschechische Staatspräsident Milos Zeman hat kürzlich wieder die These vom "Präzedenzfall Kosovo" bemüht. "Jetzt ernten wir die Früchte, die wir gesät haben. Es wäre Heuchelei zu behaupten, dass die Unabhängigkeit des Kosovo in Ordnung ist, während die Unabhängigkeit der Krim nicht möglich ist. Wir müssen bei jedem mit dem gleichen Maßstab messen", meinte er.

Ihren ganz eigenen Kosovo-Vergleich machten indes auch Vertreter der Krim-Tarataren. Mustafa Dschemilew rief etwa die Nato auf, militärisch auf der Krim zu intervenieren, um "ein Massaker" zu verhindern. Damit setzte er die Situation der Krim-Tartaren mit jener der Kosovo-Albaner 1999 gleich. (Langfassung des in DER STANDARD, 15.3.2014 erschienenen Texts)