STANDARD: Sie sind unfreiwillig zur Galionsfigur der kulturellen Opposition in Ungarn geworden, da Ihr Vertrag als Intendant am Nationaltheater Budapest trotz großen Erfolgs nicht verlängert wurde. Das Ausland nimmt Sie nun als Opfer in Empfang. Wie sehen Sie diese auch zwiespältige Solidarität?
Róbert Alföldi: Ich freue mich, dass Sie das so sagen: Ich bin unfreiwillig in diese Rolle gedrängt worden. Alles, was ich gemacht habe, war, meine Arbeit zu tun. Die Solidarität ist tatsächlich zwiespältig, denn ich werde derzeit vor allem als armer verjagter Künstler eingeladen, weniger wegen meiner Inszenierungen. Ich bin kein Opfer. Ich habe meinen Vertrag ausgeführt und wurde nicht verlängert.
STANDARD: Ihre Arbeit wurde bis Vertragsende also nicht behindert?
Alföldi: Nein, außer dass sie unser Budget um fünfzig Prozent gekürzt haben. Tja, das war die einzige Methode. Wenn man das Wort Opfer verwenden möchte, trifft das auf andere eher zu, Künstler, die nicht so in der Öffentlichkeit stehen und kaum noch Chancen haben, in Ungarn zu arbeiten. Von Lehrern und Ärzten ganz zu schweigen.
STANDARD: György Konrád spricht von einer "neuen Art der Diktatur" in Ungarn. Im Hinblick auf die Parlamentswahlen im April - würden Sie das so formulieren?
Alföldi: Ich wäre mit dem Begriff der Diktatur vorsichtig. Aber alle Schritte, die die Regierung derzeit setzt, gehen in diese Richtung. Ich weiß nicht, wie man eine Gesellschaft nennt, in der es keine Kommunikation gibt mit den Wählern, sondern alles aus der Gewalt der regierenden Macht kommt. Alle Menschen, die eine gegenteilige Meinung vertreten, werden sofort abgestempelt als Linke, als Verräter oder als Unchristliche.
STANDARD: Ein Beispiel?
Alföldi: Eine Wochenzeitung gab vor kurzem eine Liste von Theatervorstellungen aus, die man nicht besuchen solle, weil sie nicht im Sinne der Regierung agieren. Die Vorstellungen sind jetzt natürlich ausverkauft. Die Menschen wollen eben Theater, das sie nicht anlügt.
STANDARD: In den Häusern, deren Leiter eilfertig umbesetzt wurden, wird angeblich vor leeren Rängen gespielt. Stimmt das?
Alföldi: Die Regierung hat ihre Günstlinge als Direktoren installiert, um ein sogenanntes "Theater der Hoffnung" umzusetzen. Das ist ein Begriff, den die Regierung geprägt hat. Diese Häuser stehen aber ziemlich leer, ja.
STANDARD: Ist das nicht finanzieller Selbstmord?
Alföldi: Die Regierung hält nichts von Zahlen und Fakten. Auch wenn in Ungarn die Wirtschaft "unter dem Arsch des Frosches sitzt" - ein ungarisches Sprichwort -, so erklärt der Premier, die Wirtschaft habe noch nie so geblüht, und Europa werde unserem Beispiel folgen.
STANDARD: Was ist aus Ihren Inszenierungen am Nationaltheater geworden? Sie waren sehr gut besucht. Existieren sie noch?
Alföldi: Sie sind zur Legende geworden (lacht)! 28 Produktionen sind Geschichte, bis auf zwei, die wurden von anderen Theatern übernommen. Aber es geht dabei nicht nur um meine eigenen Regiearbeiten, es sind auch Inszenierungen anderer Regisseure, die nun weg sind. Es war ein wenig wie Karthago, kein Funke blieb von uns übrig.
STANDARD: Gab es Proteste?
Alföldi: Ein Teil des Ensembles ist aufgestanden, aber wer Kinder hat oder einen Kredit laufen, hält sich zurück. Die meisten haben Angst. Es gab gewiss auch welche, denen der neue Intendant gefällt. Es ist in Ungarn nicht üblich, in riskanten Situationen Solidarität für den anderen zu zeigen. Die Leute bringen den Mut nicht auf, weil die Politik überall hart durchgreift.
STANDARD: Was ist heute die Aufgabe eines Nationaltheaters?
Alföldi: Um es romantisch zu formulieren: Ein Nationaltheater sollte sich mit den großen Fragen der Nation befassen und dabei nicht lügen, nichts verschweigen. Es sollte ungelöste Fragen aufwerfen, um in unserer Gesellschaft, die oft Sonnenbrillen vor den Augen hat, einen Diskurs anzuregen. Ich bin fest davon überzeugt, dass die mangelnde Vergangenheitsbewältigung einer der Hauptgründe dafür ist, wie unsere Gegenwart heute beschaffen ist.
STANDARD: Manche Künstler, etwa András Schiff, haben sich von Ungarn abgewendet, solange Orbán an der Macht ist. Gibt es einen Exodus?
Alföldi: Ich bin dankbar, dass ich im Ausland arbeiten kann. Gerade jetzt aber sollte ich in Ungarn inszenieren. Werde ich auch, es gibt noch ein paar Häuser, die es wagen, mich einzuladen.
STANDARD: In Attila Bartis' Roman "Die Ruhe", dessen Bühnenfassung Sie nun am Landestheater Niederösterreich inszenieren, geht es auch um Exil: Die Tochter einer Künstlerfamilie geht in den Westen, woraufhin deren Mutter, eine Schauspielerin, keine Rollen mehr bekommt. Gefangen in den eigenen vier Wänden, baut sie zu ihrem Sohn eine zerstörerische Beziehung auf. Eine brutale Geschichte. Wie real dürfen wir sie lesen?
Alföldi: Ja, so haben wir gelebt vor der Wende! Natürlich ist der Roman als Gattung anders als die Realität eines Theaters. Aber ich hoffe sehr, dass auch diese Vorstellung brutal sein wird. Sie erzählt davon, wie ein Regime Menschen deformiert. Trotzdem handelt der Roman auch von Liebe. Es wird eine romantische Aufführung werden, keine politische. Sie erzählt auch davon, wie man sich festhält am anderen, wie man es versucht, wie man dabei dem anderen die Haut abkratzt.
STANDARD: Könnte diese Aufführung auch in Ungarn stattfinden?
Alföldi: Ja, wenn ich das Stück dort inszenieren dürfte. Das wäre aber selbstredend eine andere Produktion. Dazu ist zu sagen: Zensur funktioniert in Ungarn nicht in der Weise, dass sich die Macht in deine Arbeit einmischt. Es ist schlimmer, die rigide Machtausübung bringt Selbstzensur hervor. Es sind schlimme Automatismen. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 15./15.3.2014)