Paul Gauguins Holzschlappen stehen in Maastricht ebenso zum Verkauf wie ...

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... van Goghs Meisterwerk "Moulin de la Galette", die einen für 400.000 Euro, das andere für etwas mehr als zehn Millionen.

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Verstörend seit der ersten Präsentation in Paris 1900: "Hass & Wahnsinn" von Pasko Vucetic und Viktor Kovacic.

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50° 51' N, 5° 41' O, das sind dieser Tage die für traditionelle Kunstsammler relevanten Koordinaten, die in den Süden der Niederlande, konkret nach Maastricht (ver)führen. Was hier Mitte der 1970er-Jahre als sogenannte "Pictura" mit 28 Ausstellern begann, zehn Jahre später um den Parallel-Event "Antiqua" erweitert wurde und fortan als The European Fine Art Fair (Tefaf) firmierte, ist angesichts der Erfolgsgeschichte in der Chronik des internationalen Kunstmarktes einmalig geblieben.

70.000 Besucher zählte man im vergangenen Jahr, und ebenso viele werden es wohl am Ende auch heuer sein. Nirgendwo sonst auf der Welt, so sagt man, bekommt man ein solches Spektrum an Kunst aller Gattungen und in dieser Güteklasse kredenzt. Das ist der von 274 Teilnehmern (aus 19 Nationen) vertretene Anspruch, die hier bis zu 60 Prozent ihres Jahresumsatzes erwirtschaften.

Ein Konzept, das in Europa funktioniert und von Sammlern aus der ganzen Welt geschätzt und, selbstredend, auch erwartet wird. Warum also die Messe und damit die Marke Tefaf nicht auch in ein anderes Land exportieren? Mit der Art Basel, dem Mekka für Gegenwartskunst, hatte das ja via Miami oder Hongkong virtuos funktioniert.

Exakt vor einem Jahr verlautbarte man also, für eine Tefaf in Peking sondieren zu wollen. Ein ambitionierter Plan, den Kunstmarktökonomen eifrig beklatschten, für die China zuletzt zur Projektionsfläche kühnster Wachstumsträume mutierte. Die Begeisterung der potenziellen Aussteller stakste gelinde gesagt auf tönernen Füßen. Sie vertrauten wohl eher ihren merkantilen Erfahrungswerten als Hochrechnungen und anderen Zahlenspielen. Im Dezember war die Idee offiziell vom Tisch.

Strenge Kammer gut gefüllt

Stattdessen geht im Zuge der 27. Auflage (bis 23. 3.) nun alles seinen gewohnten Gang. Nach dem Aufbau wurden die Aussteller für eineinhalb Tage verbannt und durchkämmten Juroren das Messeterritorium. Bewaffnet mit Lupen, UV-Lampe oder auch nur dem jeweiligen Know-how fällten sie ihr bisweilen etwas gnadenloses Urteil. Unkorrekte Zuschreibungen, fehlende Expertisen, schlechter Erhaltungszustand oder Überrestaurierungen gehören zu den gängigen Fallstricken.

Ausjuriertes wird in einem separaten Lager verwahrt und erst am Ende der Messe ausgefolgt. Der Einspruch nutzt selten, die Chance auf einen Recall sei erfahrungsgemäß gering, wie Betroffene schildern. Wie oft ein Konkurrent die Hand im Spiel hat? Wer weiß. Dem Vernehmen nach soll diese strenge Kammer aktuell durchaus ganz gut bestückt sein. Einerlei.

Was zählt, ist, was man hier von Wänden im redensartlichen Sinne pflücken, von Simsen raffen und aus Vitrinen bergen oder auch nur bewundern kann.

Einen atemberaubenden Vogelpalast aus 148.000 Metall- und Holzelementen etwa, der gängige Vorstellungen eines Käfigs zu sprengen vermag. Zehn Jahre lang arbeitete ein gewisser Edouard Dubuc, im Zivilberuf Schiffsingenieur in Le Havre, an diesem Wunderwerk, das sich architektonisch an der Börse der Hafenstadt orientierte. Wenige Wochen vor der Präsentation im Zuge der Weltausstellung 1900 verstarb Dubuc, und das Chateau Artistique verblieb in Familienbesitz (95.000 Euro; Galerie Talabardon et Gautier, Paris).

Mit knapp 48 Millionen Besuchern innert acht Monaten zählte diese Exposition universelle zu den erfolgreicheren ihrer Art.

Und ebendort hatte auch ein nicht minder ungewöhnliches Kunstwerk seinen allerersten öffentlichen Auftritt: Hass und Wahnsinn heißt das Gemälde des serbischen Künstlers Pasko Vucetic, das motivisch auf ein Gedicht (Il Canto del Odio) des italienischen Poeten Olindo Guerrini, veröffentlicht unter dem Pseudonym Lorenzo Strecchetti, Bezug nimmt. Es schildert die Qualen eines verlassenen Liebhabers, dessen Leidenschaft sich in puren Hass verwandelt.

Wiedersehen mit Kleopatra

Das wahrhaft verstörende Finish trug der kroatische Künstler Viktor Kovacic in Form eines Rahmens bei, den geschnitzte Skelettteile der vormaligen Geliebten zieren. Nach 1903 gelangte das Werk in eine italienische und später in eine Wiener Privatsammlung und harrt nun in Maastricht bei French & Company (New York) für 475.000 Euro eines Käufers.

Schräg vis-à-vis geizt Hans Makarts Kleopatra nicht gerade mit ihren Reizen. Im April vergangenen Jahres hatte sich Henry Zimet (French & Company) höchstpersönlich die Darstellung der Sterbenden, deren Antlitz jenem der legendären Burgschauspielerin Charlotte Wolter gleicht, aus dem Dorotheums-Angebot gefischt. Zur Freude des deutschen Vorbesitzers war ihm diese Trophäe entgegen der erwarteten 90.000 dann stattliche 757.300 Euro und damit einen neuen Makart-Auktionsrekord wert. Nun beginnen die Verhandlungen allerdings bei 2,2 Millionen Euro.

In unmittelbarer Nähe freute sich Kollege Jack Kilgore keine eineinhalb Stunden nach der Eröffnung bereits über den ersten Abschluss: Für eine unbekannte Summe hatte sich ein Privatsammler Otto Dix' imposantes Gemälde Zerschmetterter Baum (1941) gesichert. Zudem wartet ein Selbstporträt des Wieners Albert Janesch von 1933 (Mein Selbstbildnis im 43. Lebensjahr mit meinem braven Weibe Maria Antonia) für 62.000 Euro auf einen spendierfreudigen Aficionado.

Über die Sektion Antiquitäten - wo man zumindest einen Blick auf das 680.000 Euro teure Prunkkabinett französischer Herkunft beim Kunsthandel Mühlbauer (Pocking) erhaschen darf, das Pierre Gole 1660 kreierte und für das die charakteristisch edlen Ingredienzien wie Elfenbein, Schildpatt oder Perlmutt verarbeitet wurden - sollte man einen Abstecher in die Sektion Tefaf Paper riskieren: zur Österreich-Fraktion, also zu Fotospezialist Johannes Faber - der sich zum Auftakt von einem Quartett aus der legendären Mr-&-Mrs-Woodman-Serie von Man Ray (1970) trennte; oder zu Wienerroither & Kohlbacher, die aktuell in mehrerlei Hinsicht "bunte" Akzente setzen: nicht nur mit Aquarellen, Gouachen und den drei zulässigen Ölgemälden, sondern auch mit der inhaltlichen Erweiterung um französische Impressionisten sowie deutsche Expressionisten. Zu den obligaten Klimt-, Schiele- und Kokoschka-Zeichnungen gesellten sich Werke von Jawlensky, Kirchner, Degas, Hodler & Co.

Der meiste Trubel am Eröffnungstag herrscht naturgemäß an der mit Alten Meistern und Stars der Klassischen Moderne gespickten Flaniermeile namens Champs-Élysées. Dort drängelte man sich beispielhaft vor der kunsthistorischen Trouvaille bei Dickinson (London / New York).

Meisterwerke und Schlappen

Konkret vor einem von nur noch zwei in Privatbesitz befindlichen Gemälden aus van Goghs Serie mit Windmühlen am Monmartre: Moulin de la Galette (1887), das den Wendepunkt seiner Malerei dunkler holländischer Szenen bäuerlichen Lebens zu postimpressionistischen Landschaften in strahlenden Farben markiert. Der veranschlagte Preis? Achtstellig, etwas mehr als zehn Millionen Euro.

Flankiert wird dieses Meisterwerk von einem Paar Sabots oder Klompen, wie die Niederländer die charakteristischen Holzschlappen nennen, die auch in der Bretagne zum traditionellen Schuhwerk gehören: made by Paul Gauguin und nun für 400.000 Euro zu haben.

Gleich nebenan hat Thomas Salis erstmals nach der Trennung von Laszlo Vertes im Alleingang Quartier bezogen und darf sich - ganz abgesehen von den hier feilgebotenen Artefakten der Moderne - mit Sicherheit einer der gelungensten Standgestaltungen rühmen. Sein engeres Umfeld wusste es längst, nun bekommt die Messeöffentlichkeit eine Kostprobe seines innenarchitektonischen Talents - völlig gratis, aber keinesfalls umsonst. (Olga Kronsteiner, Album, DER STANDARD, 15./16.3.2014)