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Rise of the Machines: Menschliche Händler haben im immer schnelleren Geschehen an der Börse das Nachsehen. Doch Studien mahnen vor möglichen Folgen des automatisierten Handels.

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New York / Wien - Die Bank gewinnt nicht immer. Aber Virtu Financial - zumindest fast. Das New Yorker Unternehmen ist im Hochfrequenzhandel engagiert (High Frequency Trading, HFT), kauft und verkauft auf der ganzen Welt tausende Wertpapiere im Millisekundentakt. In den vergangenen 1238 Handelstagen seit 2009 hat Virtu an nur einem einzigen Geld verloren, wie aus dem Börsenprospekt hervorgeht. Der geplante Börsengang von Virtu Financial nötigt den Händler dazu, sein Geschäftsmodell den künftigen Aktionären offenzulegen. Dass sich Virtu 250 Millionen Dollar vom Kapitalmarkt holen möchte, ermöglicht daher einen Einblick in eine verschwiegene Branche.

Tatsächlich lässt sich auf den knapp 200 Seiten etwa nachlesen, dass Virtu mit gerade einmal 150 Mitarbeitern einen Gewinn von 130 Millionen Euro macht. Banken mit demselben Nettoergebnis haben in der Regel zehnmal so viele Mitarbeiter. Virtu handelt zudem an mehr Börsenplätzen, als es Mitarbeiter hat und kauft und verkauft Aktien, Anleihen und Derivate an 200 Märkten weltweit.

Hohe Vergütung

Dazu kommt die hohe Vergütung. Die Personalkosten machen immerhin 78 Mio. Dollar aus. Pro Mitarbeiter sind das 500.000 Dollar. Damit zahlt Virtu besser als etwa die US-Investmentbank Goldman Sachs mit ihren rund 380.000 Dollar Durchschnittsverdienst. Dieser ergibt sich aus dem zuletzt verfügbaren Jahresabschluss. Vom Erfolg Virtus hat gerade der Gründer Vincent Viola profitiert, der dieses Jahr um 250 Mio. Dollar den Eishockey-Club Florida Panthers gekauft hat.

Der Hochfrequenzhandel läuft vollautomatisch ab, die Mitarbeiter des Unternehmens sind Programmierer, gehandelt wird vollautomatisch von Computern. Wann ver- oder gekauft wird, entscheidet kein Portfoliomanager, sondern ein Algorithmus. Die Aktien werden oft nur für Sekunden gehalten, an einem Börsenplatz ge- und am nächsten verkauft. Studien zufolge - etwa vom Beratungsunternehmen Tabb Group - werden gerade in den USA bis zu drei Viertel des gesamten Handels bereits derart automatisch abgewickelt, in Europa liegt dieser Anteil etwas niedriger.

Doch der Aufstieg der Turbohändler stößt auch auf Kritik. 2010 etwa ereignete sich in den USA der "flash crash". Innerhalb weniger Minuten stürzte der US-Leitindex Dow Jones ohne ersichtlichen Grund um rund neun Prozent ab, HFT soll zu diesem drastischen Kursverlust beigetragen haben. 2012 ist Virtu-Konkurrent Knight Capital spektakulär an die Wand gefahren. Ein fehlerhafter Algorithmus hat innerhalb von gerade einmal einer Stunde zu einem Verlust von 400 Millionen Dollar geführt, das Unternehmen musste daraufhin aufgefangen werden. Dazu kommen Fälle von Marktmanipulation, der die US-Börsenaufsicht SEC nachgeht.

Auch ESMA prüft

Geht es nach Eric Hunsader, einem Experten für Finanzmarktstruktur und vehementen Kritiker von HFT, dann "ist es schlicht eine Lüge, dass Hochfrequenzhändler Liquidität zur Verfügung stellen". Es handle sich oft nur um "Geisterliquidität". Ein Algorithmus schießt zehntausende Kaufaufträge in den Markt, die umgehend wieder storniert werden. Damit wollen die Händler andere Marktteilnehmer austricksen. Tatsächlich geht die US-Börsenaufsicht davon aus, dass HFT Verluste an der Börse verstärken können, weil sie bei Kursverlusten schlicht den Markt verlassen und für noch mehr Verkaufsdruck sorgen.

Auch eine aktuelle Studie der europäischen Finanzaufsichtsbehörde ESMA geht in diese Richtung. Antoine Bouveret hat in einem Papier 100 Aktien in Europa und die Rolle der Turbohändler untersucht. Auch die ESMA ist besorgt wegen der Frage, ob diese Akteure den Finanzmarkt wirklich liquider machen, weil sie schnell vom Markt verschwinden. Ob die Turbohändler nur "Geisterliquidität" schaffen, müsse die Behörde aber noch prüfen. (Lukas Sustala, DER STANDARD, 15.3.2014)