Wer ist schuld an den Straßenprotesten in der Türkei und an den kompromittierenden Telefongesprächen des Premierministers, die im Internet kursieren? Die "Zins-Lobby", die "Porno-Lobby", die deutsche Lufthansa? Numan Kurtulmus muss lächeln bei der Aufzählung der vielen Feinde, die der türkische Regierungschef schon ausgemacht hat. Doch dann rührt auch er im Konspirationsbrei: "Wir haben begriffen, dass einige Mächte außerhalb des Landes in der Türkei eine Situation wie in der Ukraine oder in Syrien schaffen wollen."
Kurtulmus, stellvertretender Vorsitzender der Regierungspartei AKP und zuständig für wirtschaftspolitische Fragen, gilt als das Ass im Ärmel des türkischen Premiers. Für einige Jahre hatten sich ihre Wege getrennt, doch seit Numan Kurtulmus auf Drängen von Tayyip Erdogan seine kleine Islamisten-Partei fallenließ und sich der AKP anschloss, wirkt er im Hintergrund - als sozial-konservativer Islamist ohne Geldgeschichten und als Premier in spe.
Kalter Krieg geht weiter
Und wie sich im Gespräch mit einem Kreis von Journalisten dieser Tage herausstellt: auch als treuer Nacherzähler der Komplotttheorien, mit denen Tayyip Erdogan die Gezi-Proteste vom Sommer 2013 ebenso wie die mutmaßlichen Korruptionsaffären seiner Regierung erklärt. "Während des Kalten Kriegs haben einige westliche und östliche Länder versucht, Einfluss auf die Geschehnisse in der Türkei zu nehmen", erklärt Kurtulmus. Den Einwand, der Kalte Krieg sei nun doch schon seit 25 Jahren vorbei, lässt er nur halb gelten: "Ja, das ist richtig. Aber in den internationalen Beziehungen ist kein neues Gleichgewicht gefunden worden."
Wer die "ausländischen Mächte" sind, will der 54-jährige Ökonom, der als einer der wenigen in Regierung und Partei Englisch spricht, nicht sagen. Seine Furcht vor einem Sturz der Regierung wie in Kiew scheint durchaus ernst. Die Türkei stehe einem Putschversuch gegenüber, sagt Kurtulmus mit Blick auf die Korruptionsermittlungen gegen regierungsnahe Kreise, die im vergangenen Dezember schlagartig öffentlich wurden. Erdogan reagiere so hart gegenüber Kritikern, weil er unter "sehr starkem Druck von außen" stehe: "Der Premier versucht seine Regierung zu schützen."
"Zins-Lobby" hatte Erdogan angebliche Spekulanten an der Istanbuler Börse genannt, die den Protest im Gezi-Park organisiert hätten; als "Porno-Lobby" bezeichnete der Regierungschef die Gegner einer Internetzensur in der Türkei. (Markus Bernath aus Istanbul, DER STANDARD, 17.3.2014)