St. Pölten - Die Vorstellung des Weltuntergangs hat eine mystische Anziehungskraft - vor allem in der christlichen Kultur. Seit dem 20. Jahrhundert besitzt die Gattung Mensch die Mittel, um die Apokalypse selbst herbeizuführen. Und weil mit dieser ein biblischer Erlösungsgedanke - das Tausendjährige Reich des Messias - verbunden ist, scheint klar: Wir haben ein Problem.

Dieses Problems hat sich der bekannte französische Choreograf Angelin Preljocaj in seinem 2010 geschaffenen Stück And Then, One Thousand Years of Peace angenommen, das am Wochenende im Festspielhaus St. Pölten zu sehen war. Herausgekommen ist dabei kein spektakulärer Weltenbrandkracher, sondern ein differenziertes Stimmungsbild, das einige jener destruktiven Dynamiken sichtbar macht, die dem Lebensraum Erde ein menschgemachtes Ende bereiten könnten.

In der seit der Uraufführung veränderten Fassung für Preljocajs eigene Compagnie, werden realpolitische Metaphern nicht sofort sichtbar. Vielmehr deuten die zwanzig Tänzerinnen und Tänzer zu Beginn prinzipielle Strukturen hinter der Zeichensprache des Politischen an. Dabei mischen sich Sequenzen, die auf Kulturphänomene hinweisen, mit solchen, die aus Ideen von der der "conditio humana" abgeleitet sind.

Erst wechseln einander kollektive Aggression und soziale Hingabe, Thanatos und Eros, Verdunkelung und Erhellung ab. Spürbar wird dabei das unruhige Zeitgefüge der Abläufe zwischen konstruktivem Zusammensein und dessen Zerfall bis hin zur fatalen Umkehrung.

Wie die Geier

Zu Beethovens Mondscheinsonate treten zwei cool kostümierte weibliche Engel der Apokalypse auf. Ihrem das Unheil ankündigenden Duett folgt eine Gruppe von Männern und Frauen, die wie Geier über die Bühne staksen. In ihren Händen und zwischen den Zähnen halten sie Bücher. Sie setzen sich auf Sessel, blättern mechanisch, aber finden keine Verbindung zu den Texten.

Abgelöst wird diese Konstellation durch Figuren, deren Köpfe mit den Flaggen verschiedener Länder verhüllt sind. Diese Allegorien des Nationalen erstarren wiederholt zu Sexszenen zeigenden Tableaux vivants. Aus der Trennung zwischen Texten und Körpern und der Verkörperung der Instinkthaftigkeit internationaler Verhältnisse leitet Preljocaj in ein kaltes Inferno über, in dem Barrieren aus schwarzen Blöcken gebaut werden. Zwischen diesen führen die Protagonisten des Untergangs mit aggressiv blitzenden Helmskulpturen auf den Köpfen zu manisch lässiger, dann wieder hektisch getriebener Musik (Laurent Garnier) den Abgang aller Menschlichkeit vor.

Zerstörerische Erotik und kulturelle Manipulation vermischen sich da unter einem formalistischen Perfektionszwang. Dieser bestimmt die Gruppen- und Duettbewegungen der Wächter und Opfer des Verderbens ebenso wie die Bühneninstallation (brillant: Subodh Gupta). Die Verbindung zur Realität ist offensichtlich. Die wahre Hölle verbirgt sich heute hinter Glasfassaden. Hier kommt kein Chaos auf. Auch nicht, wenn vom (Bühnen-)Himmel schwere Ketten fallen. Die Tänzer machen weiter. Sie nehmen die Ketten und legen sie sich um die Körper.

Zum Schluss werden Flaggen gewaschen und auf den Boden gebreitet. So kehrt Angelin Preljocaj zur politischen Metapher zurück. Seine Sicht der Apokalypse kommt aus der Frage, ob es wirklich die Zerstörung braucht, um eine bessere Politik zu "offenbaren".

Dieses Stück ist bis auf die etwas zu lineare Verkettung einzelner Szenen großartig. Das Publikum war begeistert. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 17.3.2014)