Bücherei für ein Waisenhaus: Safe Haven Library in Ban Tha Song Yang, Thailand, errichtet 2009 vom norwegischen Büro TYIN tegnestue Architects.

Foto: Pasi Aalto / pasiaalto.com

METI Schule in Rudrapur: Die 2005 bis 2006 von Anna Heringer und Eike Roswag errichtete Schule in Bangladesch besteht komplett aus Bambus und Lehm.

Foto: Anna Heringer

Anna Heringer kommt gerade aus Bangladesch, und ihr Mantel auch. "Schön, oder?" strahlt sie. In der Tat, ein edles, farbenfrohes Stück. "Er ist aus alten Saris geschneidert", erklärt sie. Die bayrische Architektin hat vor Ort eine Initiative mitbegründet, die es Textilarbeiterinnen ermöglicht, im eigenen Dorf anstatt in Textilfabriken zu arbeiten. Doch eigentlich ist Anna Heringer in Bangladesch in Sachen Architektur unterwegs, und deshalb steht sie jetzt im Wiener Architekturzentrum. Denn Anna Heringers Spezialgebiet ist der Lehmbau.

Stolz auf die Lehmschule

In Zeiten der perfekt geglätteten Oberflächen wird das handfeste Bauen mit Naturmaterialien oft noch belächelt. Als sie ihre Schulprojekt als Diplomarbeit an der Kunstuni Linz präsentierte, habe sie sich "fast geschämt", so Heringer. Doch anders als viele visionäre Renderings wurde ihre Idee Realität. 2006 wurde die METI Handmade School in Rudrapur in Bangladesch gemeinsam mit Freiwilligen vor Ort errichtet. "Ein Haus aus Lehm kann man nicht aus der Ferne planen, man muss selbst vor Ort sein", sagt Heringer. Nicht zuletzt, um dafür zu werben: Das traditionelle Material genießt im Land kein hohes Ansehen. "Manche haben am Anfang schon die Nase gerümpft, aber heute sind sie stolz darauf."

Dass es nicht immer leicht ist, den Bewohnern ihre eigenen Bautraditionen schmackhaft zu machen, weiß auch Diébédo Francis Kéré. Dass die Grundschule, die er nach dem Studium in Deutschland in seiner Heimat Burkina Faso errichtete, unbedingt aus Lehmziegeln sein sollte, sorgte in seinem Heimatdorf für Unverständnis. Man wollte eigentlich lieber etwas Zeitgemäßes aus Stahl und Beton. Dank einiger Überredungskunst gelang es Kéré dennoch, heute sind die Dorfbewohner stolz auf ihre Lehmschule. 2004 bekam er für sein Projekt den Aga Khan Award verliehen.

Wahr, gut und schön

Ein Zeichen, dass Architektur abseits von Hochglanz und Hochfinanz keineswegs baukünstlerisch minderwertig ist. Dennoch werden Bauten für eine Kundschaft, die sich eigentlich gar keinen Architekten leisten kann, oft belächelt. So widmete sich die Biennale Venedig im Jahr 2000 dem informellen Bauen unter dem gönnerhaften Titel "less aesthetics, more ethics". Wahr und gut also, aber nicht schön? Das ärgert den Architekturhistoriker Andres Lepik, Direktor des Münchner Architekturmuseums, noch heute: "Ich fand das blöd, denn warum soll ethisch Korrektes automatisch hässlich sein?"

Er beschloss, es besser zu machen, und stellte 2010 für das MOMA in New York eine Ausstellung unter dem Titel "Small Scale, Big Change" zusammen. Dank der Immobilienkrise war das Thema Armut auch im kulturellen Vorhof der Wall Street wieder aktuell geworden. Die Weiterentwicklung dieser Schau (in Kooperation mit dem Deutschen Architekturmuseum Frankfurt) läuft im Wiener AzW (Info siehe unten) unter dem Titel "Think Global, Build Social!" "Wir zeigen Beispiele aus der Gegenwart, in denen sich die Architekten um die 99 Prozent kümmern, die keinen Zugang zum Markt haben" sagt Kurator Andres Lepik. Projekte, an denen Architekten aus Idealismus arbeiten, oft selbst mit Hand anlegen; Bauten, die mit den Menschen vor Ort entstehen. "Ein Kindergarten, der von Stars wie Madonna irgendwo über Afrika abgeworfen wird, oder ein Hochhaus im Sand von Dubai interessiert uns nicht," so Lepik.

"Einfach, billig, wiederverwertbar"

Das Bauen für die Armen nicht ärmlich sein muss, wird in der Ausstellung ohne Umschweife deutlich. Wo wenig Geld ist, muss vor Ort auf Vorhandenes zurückgegriffen werden, und das tut der Architektur gut. Passend zum Motto "einfach, billig und wiederverwertbar" besteht die Ausstellungsarchitektur aus billigen Euro-Paletten. Doch wer in dieser Recycling-Ethik ein Minus an Ästhetik erwartet, dürfte sich bald getäuscht sehen. Denn unter den 22 ausgewählten Projekten findet sich Elegant-Modernes wie das Bildungszentrum, das der Südafrikaner Peter Rich im Township Alexandra in Johannesburg errichtete, oder Archaisches wie die offene Bambuskonstruktion der Bücherei für Waisenkinder in Thailand vom norwegischen Kollektiv TYIN Tegnestue Architects. Hier wie dort gilt: Die Reduktion der Mittel tut der Architektur ebenso gut wie das warme Klima und das Nichtvorhandensein regulierungswütiger Baunormen.

Ergänzt wird die Ausstellung im AzW durch ein weiteres Kapitel, das sich dem globalen Denken und sozialen Bauen mit österreichischer Beteiligung widmet. Dafür bekam das Europaletten-Ensemble einen stilechten Zubau aus graubraunem Karton. "Es war unser Anspruch, alles zu zeigen, was in den letzten zehn Jahren auf diesem Gebiet entstanden ist", sagt Sonja Pisarik, Projektleiterin am AzW.

Selbstbestimmung statt Entwicklungshilfe

"Wir haben bei dieser Recherche ungeahnte Dimensionen entdeckt", ergänzt AzW-Direktor Dietmar Steiner begeistert. Der größte Anteil österreichischer Projekte stammt vom Verein s2arch, der 2004 vom Grünen-Politiker Christoph Chorherr gegründet wurde und inzwischen 42 Projekte in Südafrika realisiert hat. Dass die Bauten oft von Studenten vor Ort errichtet werden, ist ein Indiz dafür, dass einheimische Hochschulen wie die Kunstuniversität Linz mit dem BASEstudio habitat, die TU Wien mit dem Design Build Studio oder die Wiener Angewandte inzwischen eine Vorreiterrolle beim Bauen in der südlichen Hemisphäre haben.

Noble Hilfestellungen aus der Ersten Welt für die, die es alleine nicht schaffen: Da wird trotz hohem Idealismus immer wieder der Vorwurf des Neokolonialismus laut. Dietmar Steiner widerspricht entschieden: "Diese Bauten sind nicht Teil einer Entwicklungshilfeindustrie. Es geht um Selbstbestimmung." Wenn alle mit Hand anlegten, lernten schließlich beide Seiten gleichermaßen, betont Kurator Andres Lepik. Die Studenten könnten dabei ein anderes Berufsbild lernen. "Wenn man beim Bauen Teil eines Prozesses ist, hört das Einzelkämpfertum automatisch auf. Dieses Gemeinsame kann man bei uns nicht trainieren. Das lernt man nur dort." Das gilt für Architektur genauso wie für edle Mäntel. (Maik Novotny, DER STANDARD, Album, 15.3.2014)