Ein Besuch in Bereichen, die man mit freiem Auge nicht mehr erkennen kann: Forscher der IBM-Labors in Rüschlikon bei Zürich zeigen, was sie in den letzten Jahren in einer Größenordnung von Nanometern, also Millionstelmillimetern, entwickelt haben. Am Anfang war die Erfindung des Rastertunnelmikroskops (scanning tunneling microscope), für die Gerd Binnig und Heinrich Rohrer vom IBM-Labor in Rüschlikon 1986 den Nobelpreis für Physik erhielten. Das Mikroskop gilt bis heute als ein erster Meilenstein in der Nanotechnologie. Erstmals wurde Forschern mit dem gleichen Instrument nicht nur die Möglichkeit der Betrachtung, sondern auch die der Manipulation von Atomen geboten.

Ein Federbalken

Das ebenfalls von Binnig erfundene Rasterkraftmikroskop (atomic force microscope), eine Weiterentwicklung, hat die gleichen Funktionalitäten: Es ist Analyse- und Strukturierungswerkzeug in einem und führt einen kleinen Federbalken, von den Forschern Kantilever genannt, über die Oberfläche. An seiner Spitze befindet sich eine winzige Nadel (20 Nanometer). "Ein Computer übersetzt", wie der Erfinder selbst im Fachmagazin Spektrum der Wissenschaft kürzlich geschrieben hat, "die Ablenkung des Federbalkens in ein Bild. Im optimalen Fall sind darauf einzelne Atome zu erkennen."

Die aus Silizium bestehenden Kantilever haben, wie Forscher des IBM-Labors und der Universität Basel vor etwa drei Jahren entdeckt haben, eine interessante biomechanische Eigenschaft: Sie lassen sich durch DNA-Stränge verbiegen. Die Balken werden wie die Zacken eines Kamms angeordnet und für spezifische DNA-Codes und Proteine empfindlich gemacht, damit sie zu ihnen passen wie Schloss und Schlüssel.

Aufgrund der Art und Weise, wie sich die Kantilever durch die DNA-Stränge verbiegen, erkennen die Forscher jeden auch noch so kleinen Defekt in ihr. Die Verbiegung ist mit freiem Auge nicht erkennbar. Sie liegt in einer Größenordnung von zehn bis zwanzig Nanometern - mithilfe eines Laserstrahls kann sie aber genau gemessen werden.

Schnelle Analysen

"Diese biomechanische Technik", schwärmte Christoph Gerber von den IBM-Labors einst nach der Entdeckung, "hat das Potenzial für schnelle Analysen." Der Wissenschafter dachte schon damals an die Früherkennung von Herzinfarkten. Mittlerweile weiß man, dass durch diesen Nanosensor auch Diabetes im Frühstadium feststellbar wird. Er erkennt schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt das für unbehandelte Zuckerkranke typische Azeton im Atem, das erst mit hohen Werten deutlich riechbar wird. Der Kantilever dient also als feine Nase.

Theoretisch könnte so aber auch ein kleiner Nanoroboter bewegt werden - zum Beispiel durch die menschliche Blutbahn -, um in Miniaturkammern mitgebrachte Stoffe an bestimmten Stellen im Körper abzugeben. Ein Traum, den schon der Physiker Richard P. Feynman, einer der Väter der Nanotechnologie, geträumt hat: Er nannte die kleinen Nanoroboter seinerzeit "Chirurgen zum Schlucken". (Peter Illetschko/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18. 8. 2003)