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Lars Ulrich: "Ich bin ein Mensch, der gern in der Gegend herumläuft und das Maul aufreißt. In dieser Spontanität liegt auch Wahrhaftigkeit."

Foto: APA/EPA/Scanfix Nordfoto/Carl Redhead
Beim FM4-Frequency-Festival in Salzburg sind Metallica als angefeindete Headliner aufgetreten. Ihnen wird wegen ihres Engagements gegen die Musikpiraterie im Internet "Verrat" vorgeworfen: Band-Chef und Drummer Lars Ulrich dazu im Gespräch mit Christian Schachinger .


STANDARD: Herr Ulrich, Sie und Ihre Band gelten als millionenschwere Stars wegen Ihres Engagements gegen die Piraterie im Internet nicht gerade als Sympathieträger bei den Fans. Obwohl die CD-Verkäufe jetzt etwa in Deutschland als dem weltweit drittgrößten Musikmarkt schon wieder um 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zurückgegangen sind, hört man in letzter Zeit von Ihrer Seite nur mehr sehr wenig zum Thema. Was ist geschehen?

Ulrich: Ich wurde es müde, der meistgehasste Mann im Rock 'n' Roll zu sein. Ich bereue allerdings nicht, mich für diese Sache eingesetzt zu haben. Ich bin ein Mensch, der gern in der Gegend herumläuft und das Maul aufreißt. In dieser Spontanität liegt auch Wahrhaftigkeit.

Allerdings habe ich keinen Kreuzzug gegen Internetpiraten organisieren wollen. Die ganze Sache hat im Jahr 2000 angefangen, als wir gerade an einem Song für einen Filmsoundtrack gearbeitet haben. Während wir noch im Studio mit dem Endmix beschäftigt waren, wurden heimlich kopierte Bänder des halbfertigen Stücks schon auf diversen US-Radiostationen rauf und runter gespielt. Dagegen sind wir vorgegangen, nicht weil wir geldgierig sind! Wir haben nur gern die Endkontrolle über unsere Produkte.

Mir ist es grundsätzlich egal, wenn die Leute sich Musik aus dem Internet runterladen. Nicht dass ich sagen würde: Tut es! Aber es geht doch darum: Wenn ich ankündige, etwas erst zu einem bestimmten Termin veröffentlichen zu wollen, dann hat das zu gelten! Dann will ich nicht vier Wochen vorher das Zeug im Internet hören.

STANDARD: In den USA werden jetzt gerade die Eltern von Teenagern auf jeweils 150.000 Dollar geklagt, weil ihr Nachwuchs illegal Songs heruntergeladen hat. Ist das nicht ein wenig überzogen?

Ulrich: Das ist schwierig zu beantworten. Wo zieht man die Grenze? Wenn ich im Plattengeschäft eine CD mitgehen lasse und sie erwischen mich, brumme ich dafür sechs Monate im Gefängnis. Soll dieses Strafmaß auch auf das Internet übertragen werden – oder nicht? Worin besteht der Unterschied zwischen Shoplifting und illegalem Download? Das ist ein Graubereich, der unsere gesamte Gesellschaft reflektiert.

Welche Rolle spielt das Internet im Zusammenhang mit der Erziehung unserer Kinder? Ich selbst habe es gerade zu Hause mit einem fünfjährigen Sohn zu tun, der aufgrund seines Umgangs mit diesem Medium eine Aufmerksamkeitsspanne hat, die ungefähr so lange dauert wie ein Fingerschnippen. Ich versuche, ihn bestmöglich zu erziehen, aber ich bin machtlos dagegen, wenn er für gewisse Dinge kein Unrechtsbewusstsein entwickelt.

Die Entscheidung zwischen richtig oder falsch besteht im Drücken einer Keyboardtaste. Mein Sohn hat online sein eigenes kleines Universum, das er mit uneingeschränkter Macht kontrollieren kann. Warum sollte er auf jemandem aus der "Außenwelt" hören? Mir ist das alles über den Kopf gewachsen. Darum habe ich gesagt: Lars, halt deine verdammte Schnauze!

STANDARD: Nicht nur Computer verändern die Gesellschaft. Auch Metallica haben schon vor 20 Jahren für Aufruhr gesorgt. Sie sind Protagonisten eines Genres, das heute dank Marilyn Manson noch immer die so genannte moralische Mehrheit in den USA auf den Plan ruft. Was haben Metallica über die Jahre bewegt?

Ulrich: Himmel, darüber habe ich mir eigentlich noch nie Gedanken gemacht! Wenn man älter wird, beginnt man sich natürlich als Familienvater die alten Klischeefragen zu stellen und was man auf diesem Planeten tun und lassen sollte, bevor man ihn wieder verlässt… Ich möchte einmal ein gutes Stück Arbeit hinterlassen – und wenn ich ganz zynisch bin, kann ich mir sagen: Lars, der Vierteldollar in deiner Tasche, den du dir mit der Musik verdient hast, bringt dich zumindest in den öffentlichen Bus.

In aller Demut: Natürlich schreiben wir Songs, die sehr vielen Leuten sehr viel bedeuten. Aber ich ich ringe noch immer nach den Antworten auf die großen Fragen. Nach 22 Jahren Metallica kann ich allerdings eines mit Sicherheit sagen: Wir haben den Leuten gezeigt, wie man trotz interner Zusammenbrüche und äußerer Anfeindungen überleben kann.

STANDARD: Wie kann man als Metal-Musiker eigentlich in Würde altern? Im Gegensatz zu einem Van Morrison dürfte es doch reichlich komisch aussehen, wenn Sie mit 60 oder mehr Jahren noch auf der Bühne stehen und den harten Mann markieren?

Ulrich: Da muss ich selbstbewusst sagen, dass wir die meisten Klischees dieses Genres immer vermieden haben. Wir waren uns immer der konservativen Haltung im Metal bewusst, die keine stilistischen Erweiterungen zulässt und sich lieber über die Länge von Haaren und Gitarrensoli den Kopf zerbricht. Wenn man die Standards selbst gesetzt hat, kann man sie auch modifizieren. Hey, wir haben Zillionen von Platten verkauft!

STANDARD: Hatte Ihre Plattenfirma Bedenken angesichts des neuen Albums "St. Anger"? Immerhin klingt das ja im Gegensatz zu den letzten Arbeiten nach einer Rückkehr zu den von vielen als reiner Lärmterror empfundenen Wurzeln im Underground.

Ulrich: Ich glaube nicht, dass jemand von der Plattenfirma sich trauen würde, uns damit zu konfrontieren. Niemand von denen würde unsere Antwort wissen wollen! In Deutschland hat ein Label- Manager gemeint, wir hätten das Album statt "St. Anger" lieber "Commercial Suicide" nennen sollen. Jetzt sind wir dort seit sechs Wochen die Nummer eins. Was soll ich sagen? (DER STANDARD, Printausgabe, 19.8.2003)