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Zielgebiet Erde - gleich für mehrere Jahre

Foto: APA/EPA

Hamburg - Eine gigantische Staubwolke nähert sich der Erde. Das zeigen Messungen der Raumsonde "Ulysses", die rund 900 Millionen Kilometer von der Erde entfernt soeben die Vorboten des kosmischen Sandsturms registriert hat. Sonde und Erde liegen quasi auf einer Linie, so dass die erste Front des Staubregens auch die Erde bereits in den nächsten Tagen erreicht. Die 100.000 km/h schnellen Partikel könnten für Satelliten gefährlich werden. Auf Erden werden keine ernsten Konsequenzen erwartet - nur mehr Sternschnuppen sind möglich.

Ursache für den Staubregen ist der Wegfall unseres kosmischen Abwehrschirms, des Magnetfeldes der Sonne. Bisher lenkte es Staub an Erde und anderen Planeten vorbei. Das Magnetfeld verändert aber seine Lage. In nächster Zeit wird es sich nicht mehr über die auf einer Ebene liegenden Planetenbahnen erstrecken, erklärt Markus Landgraf von der Europäischen Weltraumbehörde (Esa) in Darmstadt. Das Planetensystem ist damit dem Staubsturm ausgesetzt.

Die Größe der Staubwolke ist gigantisch. Sie erstreckt sich 200-mal weiter ins Universum als unser Sonnensystem. Erstmals kann ein kosmischer Staubsturm von einer Sonde untersucht werden. Die von den europäischen und amerikanischen Weltraumbehörden Esa und Nasa seit 1992 betriebene Raumsonde "Ulysses" registriert bereits dreimal mehr Staub als in den Jahren zuvor. 1997 ortete die Sonde täglich noch vier Partikel pro Kubikmeter, heute sind es zwölf. Doch diese Prise, die in Kürze die Erde einhüllen wird, ist erst ein Vorgeschmack. In zwei Jahren sorgen dreimal so viele Partikel für regelrechtes Sandstrahlgebläse - acht Jahre hält dieses Maximum an.

Trotz immenser Geschwindigkeit ist die zerstörerische Wirkung der Staubteilchen gering. Das liegt an ihrer Winzigkeit. Dennoch seien Satelliten gefährdet, sagt Landgraf. Satelliten etwa, die mit Hochspannung betrieben werden, könnten durch Kurzschlüsse lahm gelegt werden. Und die Linsen von Spionage- und Beobachtungssatelliten erblinden möglicherweise durch den Partikelbeschuss. Auf der Erde hingegen würden lediglich vermehrt Sternschnuppen die Wünsche der Menschen auf sich ziehen.

Es sind jedoch nicht die Staubteilchen selbst, die in der Erdatmosphäre verglühen und dabei aufleuchten: Die Staubpartikel schlagen aus den im All driftenden Meteoriten kleine Steinbröckchen heraus, die dann als Sternschnuppen in der Erdatmosphäre verglühen können.

Wissenschafter, die keine Satelliten betreuen, freuen sich über den Staubregen, lässt er doch womöglich Rückschlüsse über den Ursprung des Lebens zu. Staub aus dem Weltall könnte die Grundsubstanzen des Lebens auf die Erde gebracht haben. Geplant ist daher, in vier Jahren eine Sonde in die Staubwolke zu schicken, um die Partikel auf ihre Bestandteile hin zu untersuchen.

Obwohl die Staubwolke den Forschern einerseits wie ein Schleier den Blick ins Weltall erschwert, könnte sie andererseits erstmals mysteriöse Objekte in weiter Ferne sichtbar machen. Am Rande des Planetensystems auf dem "Kuiper-Gürtel" rasen wahrscheinlich Hunderttausende Kometen durchs All.

Schummrige Schatten

Doch selbst auf den Bildern des Hubble-Weltraumteleskops, des stärksten Beobachtungsgeräts, sind die Brocken nur als schummrige Schatten zu erkennen. Und niemand ahnt, was hinter ihnen liegt. Die Objekte könnten unter dem Staubbeschuss aufleuchten, sichtbar werden.

In zehn Jahren wird sich der Staubsturm legen, das Magnetfeld verlagert sich abermals, legt sich wieder schützend über die Planeten. In 10.000 Jahren wird das aber auch nicht viel nützen: Auf unser Sonnensystem bewegt sich ein noch größerer Sturm zu. Diese "G-Wolke" könnte die Erde für lange Zeit intensivem Staub aussetzen. (Axel Bojanowski/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19. 8. 2003)