Bild nicht mehr verfügbar.

Das Huhn in seiner Ausprägung als Chlorhuhn (was wiederum nicht heißt, dass es sich um federlose Hühner wie jene im Bild handelt) ist der Freihhandelskritiker großes Schreckgespenst.

Foto: Reuters/Levison

Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA soll auf beiden Seiten des Atlantiks Wachstumsimpulse geben und hunderttausende neue Jobs schaffen, so die Befürworter. Zollschranken sind dabei nur ein Themenkomplex, Unternehmen hoffen vor allem auf den Abbau anderer Handelshemmnisse. Kritiker der Freihandelszone warnen auch vor der Aushöhlung von europäischen Standards, etwa bei der Nahrungsmittelsicherheit oder im Umweltschutz. Warum er sich eher auf die Seite Letzterer schlägt, erklärt der Ökonom Christoph Scherrer im Gespräch mit derStandard.at.

derStandard.at: In Sachen Investitionsschutzklauseln für Unternehmen gab es für Kritiker zuletzt einen kleinen Erfolg. EU-Handelskommissar Karel De Gucht hat eingelenkt, um eine öffentliche Anhörung einzuleiten. Signalisiert der Schritt mehr Offenheit in der Debatte?

Scherrer: Das wird man anschließend wissen. Jetzt ist zunächst einmal sehr positiv zu verbuchen, dass die deutsche und die französische Regierung nicht mehr darauf beharren, dass das mit den USA verhandelt wird. Deswegen bin ich relativ optimistisch, dass auch die EU-Kommission diesen strittigen Punkt fallenlässt.

derStandard.at: Die Klauseln sollen Unternehmen ermöglichen, sich gegen eine Vertragsverletzung durch einen Staat vor einem internationalen Schiedsgericht zu wehren. Was wäre daran so schlecht?

Scherrer: Die Idee für solche Schiedsgerichte ist im Hinblick auf Länder aufgekommen, die keinen Rechtsstaat haben. Die USA und Europa sind aber der Hort des Rechtsstaates. Man weiß nicht, warum jenseits der öffentlichen Gerichte nun noch weitere Schiedsstellen mit hohen Sanktionsmöglichkeiten eingerichtet werden sollen. Das Problem ist, dass diese Schiedsgerichte im Handel auf einen kleinen Pool von Rechtsexperten zurückgreifen, die dann in wechselnden Rollen entweder die Klage führen oder die Beklagten verteidigen oder dann sogar auch als Schiedsrichter fungieren. Die haben durchaus ein Interesse, dass dieses Instrument genutzt wird, weil sie damit auch gut verdienen können. Das entzieht sich eben doch der demokratischen Kontrolle, die wir ja im Rechtsstaat haben.

derStandard.at: Das heißt, es könnte viele juristische Auseinandersetzungen geben, wo es auch um viel Geld gehen würde. In dieser Auslegung wäre das wiederum eine Frage der finanziellen Potenz?

Scherrer: Genau. Das wäre auch aus demokratiepolitischer Sicht problematisch. Denn ich sehe die Gefahr, dass Unternehmen klagen, wenn neue Verbrauchergesetze erlassen werden. Es könnten ihnen eben aufgrund dieser Verbrauchergesetze Gewinne in der Zukunft entgehen. Das würde somit teuer für den Staat, und er müsste hier kompensieren. Da überlegt man sich vielleicht doch noch einmal, ob man diesen Verbraucherschutz haben möchte oder eben nicht. Von daher denke ich, dass gerade in entwickelten Rechtsstaaten Europas und den USA ein solches Streitschlichtungsinstrument nicht notwendig ist und auch eher missbraucht werden könnte.

derStandard.at: Die öffentliche Anhörung könnte bedeuten, dass die EU in der Diskussion nur Zeit gewinnen will. Was macht Sie zuversichtlich, dass der Investitionsschutz tatsächlich nicht kommt?

Scherrer: Diese Idee ist schon relativ alt. Sie kam auch in Form des multilateralen Investitionsabkommens, ein Vorschlag der OECD Ende der 1990er-Jahre, der dann abgeschmettert wurde. Derzeit wird von den Verhandlungspartnern wohl eher befürchtet, dass das zwar ein sehr schönes Instrument wäre, aber insgesamt den Abschluss eines Handelsvertrags behindert. Cato, ein sehr wirtschaftsliberaler Thinktank in den USA, hat das sehr deutlich ausgedrückt. Die haben gesagt, wenn wir jetzt den freien Handel verstärken wollen, dann sollten wir lieber auf ein solches Instrument verzichten, weil es so viel Widerstand hervorruft.

derStandard.at: Stichwort Widerstand: Es gibt außerordentlich viel Skepsis gegenüber diesem Freihandelsabkommen. Wäre ein solches ohne diese Investitionsschutzklauseln in Ihren Augen akzeptabel?

Scherrer: Nein. Ich würde immer noch Probleme sehen. Diese Verhandlungen werden ja von Unternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks getrieben, die in den jeweiligen anderen Regionen auf Regeln stoßen, die sie nicht vorteilhaft für sich finden. Diese Regeln sind heutzutage nicht mehr Zölle, die sind fast abgeschafft. Das sind eher Regeln des Verbraucher-, Beschäftigten- und Datenschutzes und Ähnliches. Da kann es leicht passieren, dass man sich bei den Verhandlungen hinter verschlossenen Türen über den Atlantik hinweg auf Kosten der Verbraucher einigt. Die Gefahr sehe ich bei einem solchen Abkommen.

derStandard.at: Sie sprechen vom berühmten Chlorhuhn und dergleichen. Sie meinen also, die große Sorge der Bürger, dass Umwelt- und Lebensmittelstandards zur Disposition stehen und nach unten nivelliert werden, ist berechtigt? Die EU-Kommission schwört ja Stein und Bein, das würde nicht passieren.

Scherrer: Ich weiß nicht, auf welcher Grundlage die EU das behaupten kann. Nehmen wir ein Beispiel: Die amerikanischen Chemie- und Pharmafirmen möchten gerne, dass die Testergebnisse bei der Arzneimittelherstellung lange nicht freigegeben werden, sodass die Generikahersteller keine Chancen bekommen. Die EU wiederum möchte, dass das Herkunftsprinzip stärker honoriert wird. Wenn also Champagner draufsteht, darf der Inhalt nur aus der Champagne kommen und nicht aus Spanien und nicht aus Kalifornien. Da muss man sich fragen, wie kommen diese zwei Interessen auf einen grünen Zweig? Die Logik der Verhandlungen läuft darauf hinaus, dass man eher Schutzregeln für Verbraucher lockert.

derStandard.at: Nachdem die Skepsis gegen eine weitere Globalisierung derzeit so groß ist, wäre das in Europa in der aktuellen Situation eine eher heikle Angelegenheit.

Scherrer: Das schon. Es sind schon sehr lange Auseinandersetzungen geführt worden und werden sicherlich auch in Zukunft noch geführt werden, um den Verbraucher, die Umwelt und die Menschen zu schützen. Das ist nicht immer im Profitinteresse. Mir scheint, dass das Verhandlungsergebnis letztlich dann doch sehr stark von den großen Unternehmen getrieben sein wird.

derStandard.at: Wie kommen Sie konkret zu dieser Schlussfolgerung? Viele versprechen sich von einem Freihandelsabkommen geradezu ein Erblühen der Wirtschaft.

Scherrer: Ich habe mir in einer Studie ausführlich die Zahlen, mit denen rund um die Arbeitsplatzschaffung hantiert wird, angeschaut. Da stellt man recht schnell fest, dass selbst die Befürworter von relativ kleinen Zahlen im Verhältnis zum Gesamtarbeitsmarkt ausgehen. Genau genommen liegt der Zuwachs unter einem Promille und das über eine längere Frist von zehn, zwölf Jahren. Darüber hinaus fließen unglaublich viele Annahmen in diese Modelle ein, die nicht immer realistisch sind im Hinblick darauf, wie sich die Zukunft entwickelt. Wir kennen das ja aus der Finanzbranche: Solche Prognosen trafen nicht immer so genau den Kern dessen, was dann Realität wurde. (rebu, derStandard.at, 18.3.2014)