Ein Still aus Sarah Vanhees "Lecture".

Foto: Imagetanz

Wien - Sessel ächzen unter den Lasten von Briefings und Konferenzen. Eine Sitzung jagt die andere. In den Pausen wird dann die eigentliche Arbeit erledigt. So ist die Kraft der Sitzmuskeln heute die Basis für das Berufsleben der meisten Werktätigen. In diese Tischkultur dringt die belgische Performancekünstlerin Sarah Vanhee ein, um Botschaften von einem besseren Leben anzubringen. Ihr Projekt Lecture for Every One war beim Imagetanz-Festival des Brut-Theaters nun auch in Wien zu erleben, vor allem in den dreizehn Versammlungen, die sie und ihre lokale Mitarbeiterin Deborah Hazler hierzustadt heimgesucht haben.

Der Wiener Stammgast Vanhee ist sich treu geblieben: Die Ideen für ihre auf wunde Punkte unserer Gesellschaft verweisenden Arbeiten hören sich wunderbar an. Doch dann bringt die Umsetzung immer wieder Enttäuschungen. So auch diesmal - zumindest in der ausgesprochen lieb- und einfallslosen Präsentation der bisherigen Lecture-Highlights. Da waren die als Überraschungscoups angelegten Auftritte bei Firmentreffen, Parteikonferenzen und Organisationsmeetings, deren Routinen sie mit ihren Interventionen bestimmt, aber freundlich unterbricht, sicher spannender.

Wohlgemeinte Freundlichkeit ist in künstlerischen Zusammenhängen ebenso ambivalent wie allzu geradeheraus geäußerte Belehrung. Das war auch beim Straßenereignis Grundeinkommenstanz von Sabina Holzer, Mariella Greil und Nikolaus Gansterer auf der Favoritenstraße zu erfahren.

Die Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle lebt vom wachsenden Verlust des Vertrauens in eine Wirtschaft, die es nicht schafft, ausreichend Arbeitsplätze zu schaffen. Der Einfall, die Passanten im urbanen Raum an diese Diskussion zu erinnern, ist also richtig gut. Und dabei macht Freundlichkeit sicherlich mehr Sinn als Provokation.

Etwas mehr Zugkraft hätte diesem Grundeinkommenstanz allerdings echt gutgetan. Die kleine Gruppe von Akteuren, die frohgemut und mit glitzernden Rescue-Decken bewaffnet durch die Einkaufsstraße raschelte, und ihr Publikum erregten sehr wohl Aufmerksamkeit. Da wäre ein bisschen mehr Mut der Künstler zu einer offensiveren Agitation dem einen oder anderen Gemüt sicherlich nahegegangen.

Berührend wirkte der Auftritt von Felicitas Wölger in Katrinamuris Stück songs for myself or (m)other. Die 16-Jährige trägt an den Folgen einer Infektion, die sie sich bereits vor ihrer Geburt zugezogen hat. Mit ihrer Mutter erzählt sie von ihrem Leben und einer Gesellschaft, die sich schwer mit allem außerhalb der Norm tut. Mit Menschen wie Felicitas ein Stück für ein Kunstpublikum zu machen ist ein Abenteuer. Das lebt auch davon, wie diese anders Geratenen ein Konzept durcheinanderbringen können. Katrinamuri und Felicitas haben je einen so hinreißenden wie kritischen Dialog hingelegt. Hier war der Freundlichkeitspegel richtig eingestellt. (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 19.3.2014)