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Ob Barack Obamas Telefonate mitgeschnitten werden, ist nicht bekannt - es gehört aber zur NSA-Routine, nicht nur Verbindungsdaten zu sammeln, sondern auch Gespräche mitzuschneiden.

Foto: Reuters

Der weiße Rauschebart erinnert an Albus Dumbledore, den Direktor von Hogwarts, des Internats für heranwachsende Magier. Am purpurfarbenen Umhang funkeln Edelsteine und Sterne, der Zauberstab ist knorrig. Wer immer sich das Logo zu Mystic ausdachte, muss die Harry-Potter-Filme im Hinterkopf gehabt haben. Und das klobige Mobiltelefon, das der Zeichner wie eine kleine Krone auf den Zauberstab setzte, sieht aus, als wäre es schon ziemlich angestaubt; jedenfalls vor dem Siegeszug der elegant flachen Smartphones gebaut.

Die bunte Skizze, am Mittwoch veröffentlicht von der Washington Post, gehört zur Präsentation einer Schulung der National Security Agency (NSA). Nach Informationen der Zeitung hat der US-Geheimdienst ein Programm entwickelt, das sämtliche Telefonate eines ganzen Landes mitschneiden und für eine Weile abspeichern kann. 2009 schon war Mystic einsatzbereit, zwei Jahre später konnten sich die Geheimdienstler erstmals dessen Datenbank Retro bedienen: Auf der werden Gespräche mindestens 30 Tage abgelegt, sodass die Analysten - falls jemand neu ins Visier der Behörden gerät - Gespräche so lange lückenlos zurückverfolgen können.

In einem Land ist die Lauschmaschine bereits 2011 zum Einsatz gekommen - allerdings hält die Washington Post (auf Bitten von Regierungsbeamten, wie das Blatt schreibt) den Namen des Landes zurück. Ein bisher vertraulicher Budgetansatz fürs vergangene Jahr lässt vermuten, dass es mittlerweile fünf oder sechs Staaten sind, deren telefonische Kommunikation komplett erfasst wurde. Offenbar sollte oder soll das Programm noch ausgebaut werden, sobald das riesige Datenzentrum der NSA in Bluffdale, einer Kleinstadt unweit des Großen Salzsees in Utah, eingeweiht ist. Bisher war bekannt, dass der Geheimdienst systematisch Verbindungsdaten sammelt: Verzeichnisse darüber, wer wann mit wem telefoniert und wie lange.

Warten auf Reformideen

Dass aber auch der Inhalt der Gespräche durchgehend erfasst wird, das ist neu - und es bringt den US-Präsidenten einmal mehr in Erklärungsnot. Erst im Jänner, als er Reformen in Aussicht stellte, hatte Barack Obama den selektiven Charakter der Spionage-Offensive betont. Amerikas Agenten, sagte er, würden zwar weiter Informationen über die Absichten ausländischer Regierungen sammeln, nicht aber normale Bürger belauschen. Bis Ende März soll Justizminister Eric Holder Vorschläge unterbreiten, was sich konkret ändern soll an den Praktiken der NSA.

Es war als Befreiungsschlag gedacht - als Versuch, einen vorläufigen Schlussstrich unter das Kapitel zu ziehen. Nun drängt die neueste Enthüllung aus dem Fundus des Whistleblowers Edward Snowden die Administration erneut in die Defensive; zumal sie den Eindruck verstärkt, dass Obamas Kabinett immer nur jeweils das zugibt, was die Öffentlichkeit dank Snowden bereits weiß, statt der NSA mit ihren Big-Brother-Exzessen tatsächlich straffere Zügel anzulegen. Caitlin Hayden, die Sprecherin der NSA, zog sich in einer ersten Reaktion auf die Standardfloskel zurück, wie sie Beamte in solchen Fällen fast immer bemühen: Zu spezifischen Aktivitäten gebe man keine Auskunft.

Die amerikanische Bürgerrechtsliga ACLU wiederum erinnert an ein Zitat Keith Alexanders, des scheidenden NSA-Direktors. Der hatte seine britischen Kollegen einmal rhetorisch gefragt: "Wieso können wir nicht sämtliche Signale sammeln? Komplett? Zu jeder Zeit?" Alexanders Behörde - so ACLU-Sprecher Jameel Jaffer - habe seit langem versucht, ausnahmslos alles aufzuzeichnen - "und nun wissen wir: Sie hat auch die Mittel dazu."

Snowden, der nach wie vor Asyl in Russland genießt, kündigte unterdessen an, es werde weitere Enthüllungen geben. Der ehemalige Geheimdienst-Mitarbeiter war zuletzt am Dienstag auf dem Technologietreffen TED in Vancouver aufgetreten: als Roboter, der über eine Datenleitung ferngesteuert wurde. (Frank Herrmann aus Washington, DER STANDARD, 20.3.2014)