Davidson - Schlangen gelten nicht als die wanderlustigsten unter allen Tieren, dementsprechend hatte man bei ihnen keine besonderen Navigations- bzw. Orientierungsfähigkeiten vermutet. Ein Irrtum offenbar: Zumindest von einer Spezies weiß man nun nach einem Experiment, dass sie über eine Art inneren Kompass verfügen muss - auch wenn noch unklar ist, wie dieser funktioniert.
Die betreffende Spezies ist der Dunkle Tigerpython (Python molurus bivittatus), der mit bis zu fünf Metern Länge zu den größten Schlangen der Welt zählt. Ursprünglich aus Südostasien stammend, machen Tigerpythons seit Jahren als Bioinvasoren Schlagzeilen: In den Everglades-Sümpfen Floridas haben illegal freigesetzte Tiere eine sich ständig ausbreitende Population aufgebaut und sind gebietsweise drauf und dran, den einheimischen Alligatoren den Platz als Spitzenprädator streitig zu machen.
Das Experiment
Nun führten Forscher um Shannon Pittman vom Davidson-College in North Carolina ein Experiment mit Tigerpythons durch. Sie fingen im Everglades-Nationalpark insgesamt 12 Pythons ein, rüsteten sie mit Sendern aus und setzten sie anschließend wieder frei - sechs davon gleich in der Nähe des Ursprungsorts, die anderen sechs dutzende Kilometer davon entfernt.
Die Tiere verhielten sich anschließend deutlich unterschiedlich: Die fernab ihrer alten Heimat ausgesetzten Tiere legten nicht nur pro Tag dreimal so lange Strecken zurück wie die Angehörigen der Kontrollgruppe. Sie wussten offenbar auch, wohin. Fünf von ihnen kamen bis auf fünf Kilometer an den Ort, an dem man sie eingefangen hatte, heran. Das sechste Tier schaffte es zwar nicht so weit, doch hatte es zumindest die richtige Richtung eingeschlagen. Überhaupt wichen diese Langstreckenwanderer den Forschern zufolge im Schnitt nicht mehr als 22 Grad vom Pfad nach Hause ab. Die in der Nähe ausgesetzten Tiere hingegen bewegten sich in beliebige Richtungen.
Mit 21 bis 36 Kilometern legten die Tigerpythons nicht nur die mit Abstand größte Entfernung zurück, die man bislang bei Schlangen gemessen hat. Sie bewiesen auch Durchhaltevermögen: Da sie pro Tag im Schnitt nicht mehr als 300 Meter schafften, blieben sie je nach Fall 94 bis 296 Tage lang auf Kurs. Offen bleibt vorerst die Frage, wie die Tiere dies schaffen: Pittman hält fürs erste alles für möglich, vom Geruchssinn über eine Orientierung am irdischen Magnetfeld bis zur Wahrnehmung von polarisiertem Licht. (jdo, derStandard.at, 19. 3. 2014)