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Im politischen Klima der Türkei, aufgeheizt durch Korruptionsvorwürfe gegen den autoritär regierenden Premier, stehen sich bei den Kommunalwahlen die Anhänger der alten Atatürk-Republik und die Religiösen der AKP gegenüber.

Foto: Reuters/Bektas

Die Kühlschränke sind legendär. 2009 bei den Kommunalwahlen sind sie über die Dörfer in Anatolien niedergegangen wie der Sommerregen. Gratis und für alle. Oder genauer: für alle, die zu erkennen gaben, dass sie AKP wählen würden, die regierende konservativ-religiöse Partei.

Kerim Aksu hat sich dieses Mal, kurz vor den Bürgermeister- und Gemeinderatswahlen, einen Scherz erlaubt und ist in ein Wahlbüro der AKP in seiner Stadt marschiert. Ob sie ein bisschen Hilfe brauchen mit den Kühlschränken? Aksu ist ja sozusagen ein Mann vom Fach, ein Verkäufer von Haushaltsgeräten. Das hat er gemacht, bis er 2009 zum Bürgermeister der Schwarzmeerstadt Giresun gewählt wurde - für die oppositionellen Sozialdemokraten der CHP.

100-Kilo-Mann mit Schalk im Nacken

Der Besuch bei der AKP und die entsetzten Gesichter amüsieren ihn immer noch. Aksu ist ein Gute-Laune-Bär, ein 100-Kilo-Mann, dem der Schalk im Nacken sitzt. Unlängst gab es im lokalen Fernsehen eine Debatte der Bürgermeisterkandidaten für Giresun. "Ich bin Professor", sagte der Universitätsprofessor Yilmaz Can von der AKP, bis vor kurzem Rektor der örtlichen Hochschule, wo ihn der türkische Staatspräsident Abdullah Gül platziert hatte, was zu seinen Kompetenzen gehört. "Ich bin Doktor", sagte der junge Arzt Orhan Erzurum von der rechtsnationalistischen MHP. "Und ich bin Bürgermeister", sagte Kerim Aksu, "ich bin hier, um zu regieren. Viel Glück mit euren Berufen!"

Giresun hat einen abgetakelten Hafen und die Haselnussbäume, bergauf, bergab, am Ufer entlang. Auf der politischen Wahlkarte ist alles hier AKP-Land, hunderte Kilometer in jeder Richtung. Aber die Türkei wäre nicht die Türkei, wenn nicht alles viel komplizierter wäre, als es aussieht. Giresun war bisher immer republikanisch, eine Atatürk-Hochburg seit Gründung der Türkei. Drei Musikkonservatorien, ein Theater, ein Haus für die unterbezahlten jungen Lehrer, in dem sie essen und schlafen können. "Links" wäre das falsche Etikett für Giresun. Nationalistisch ist die Stadt mit ihren 100.000 Einwohnern eher, wie der Rest der langen türkischen Schwarzmeerküste. Jeder Fußgängerübergang, der über die Küstenschnellstraße zum Ufer führt, trägt hier den Namen eines "Märtyrers", eines Soldaten aus der Gegend, der im Kampf gegen die kurdische Untergrundarmee PKK im Südosten gestorben ist.

Aksus Parteifreund in Trabzon, der CHP-Kandidat und frühere Bürgermeister Volkan Canalioglu, hat eine Erklärung für das besondere politische Milieu dieses Landstrichs. Trabzon ist dabei besonders belastet. In der Hafenstadt wurde der italienische Priester Andrea Santoro erstochen; der Mörder von Hrant Dink, dem türkisch-armenischen Verleger in Istanbul, wurde von hier losgeschickt. Canalioglu war Bürgermeister, als all das geschah.

Abgekapselt von der Welt

Man könne nicht die ganze Stadt für diese Ereignisse anklagen, sagt er; solche Dinge passierten doch auch in den USA oder in Deutschland. "Unser Problem ist die Auswanderung", erklärt Canalioglu. Allein während seiner Amtszeit zwischen 2004 und 2009 sei die Zahl der Einwohner in Trabzon von knapp einer Million auf 750.000 gefallen. "Wir haben hier eine recht homogene Gesellschaft. Kaum jemand von außen zieht hierher. Das führt dazu, dass die Leute abgekapselt von der Welt leben" - und ihre nationalistisch versponnenen Ideen vom türkisch-muslimischen Blut haben. Das sagt Canalioglu nicht, wohl aber, dass sich dieser Trend zum Eigenbrötlerisch-Konservativem unter dem amtierenden AKP-Bürgermeister in Trabzon nur verstärkt hat.

Orhan Gümrükçüoglu ist ein kleiner Mann mit Schnauzer und modernem Brillengestell. Es geht schon auf Mitternacht zu, als er seine Besucher im Rathaus empfängt. Sein Büro ist so groß wie ein Volleyballfeld. Warum die Hagia Sofia in Trabzon, eine ehemalige Kirche aus dem 13. Jahrhundert und zuletzt ein Museum, wieder eine Moschee werden musste? "War nicht unsere Idee", sagt der Bürgermeister. Eine muslimische Stiftung habe das Kulturministerium verklagt und nach Jahren recht bekommen. "Wir haben uns nur an den rechtlichen Ablauf gehalten."

Präsident Gül: "Keine Verschwörung"

Die konservativ-religiöse Wählerschaft wird die Öffnung der Hagia Sofia gleichwohl erfreut haben. In Istanbul soll dasselbe geschehen. Gümrükçüoglu erwartet einen großen Sieg für die AKP am 30. März. Die angebliche Korruptionsaffäre und die Telefongespräche des Premiers, die im Internet kursieren, seien nur eine Inszenierung. "Es wird die Unterstützung für die AKP nur stärken. Die Menschen sehen das als einen Versuch, sie an ihrem Wahlrecht zu hindern", so der Trabzoner Bürgermeister. Gratis-Kühlschränke, so scheint es, braucht die AKP dieses Mal nicht, obwohl mittlerweile auch Parteifreund und Präsident Abdullah Gül die Verschwörungsspekulationen Erdogans mit folgenden Worten zurückweist: "Derartige Bemerkungen sind etwas für Dritte-Welt-Staaten." (red/Markus Bernath aus Giresun, DER STANDARD, 20.3.2014)