Wiener Neustadt – Der Freispruch eines 57-Jährigen, der das Parteiprogramm der Nationalen Volkspartei (NVP) verfasst hat, am Landesgericht Wiener Neustadt sorgt für Empörung. Zur Erinnerung: Die NVP war 2009 von der Landeswahlbehörde Oberösterreichs wegen NS-Wiederbetätigung nicht zu Wahl zugelassen worden. Auch der Verfassungsgerichtshof teilte diese Meinung. Im Wahlprogramm fanden sich direkt übernommene Passagen aus dem "Lehrplan für die weltanschauliche Erziehung in der SS und Polizei" der Nationalsozialisten.

Dass es in Wiener Neustadt trotzdem zu einem Freispruch im Zweifel mit vier gegen vier Geschworenenstimmen kam, ist dem Gutachter Eckhard Jesse geschuldet, der keine NS-Wiederbetätigung entdeckt haben will.

Zur Bestellung des Politologen, der in Deutschland auch für antisemitische Aussagen bekannt ist, kam es durch den Antrag der Verteidigung im vergangenen Juni. Diese wollte keinen Historiker, sondern einen Politologen, heißt es bei Gericht auf derStandard.at-Nachfrage. Danach wurde der Prozess vertagt.

Gutachter mit "unkritischem Verhältnis zur rechten Szene"

Jesse ist kein Unbekannter. Um den Deutschen gab es bereits im Jahr 2010 Aufregung im NPD-Verbotsverfahren in Karlsruhe. Laut "Süddeutscher Zeitung" wurde ihm schon damals ein "ziemlich unkritisches Verhältnis zur rechten politischen Szene nachgesagt".

In Wiener Neustadt zog man am Donnerstag nach Protest des Mauthausen-Komitees Österreich und des oberösterreichischen Antifa-Netzwerks die Reißleine. Die Staatsanwaltschaft brachte Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil ein. Gerichtssprecher Hans Barwitzius verteidigt die Bestellung Jesses im derStandard.at-Gespräch damit, dass man "über die Vorwürfe gegen Jesse überhaupt nichts gewusst" habe. Er sei die fünfte Wahl gewesen. Zwei österreichische und ein deutscher Gutachter hätten keine Zeit gehabt, ein vierter sei der Verteidigung nicht recht gewesen.

Eine "Gerichtsgroteske" sieht der Grünen-Parlamentarier Albert Steinhauser, begrüßt aber, "dass die Staatsanwaltschaft nun doch Problembewusstsein zeigt". (Colette M. Schmidt, derStandard.at, 20.3.2014)