Zum Thema ORF haben Kanzler und Vizekanzler seit zwei Jahren nichts mehr gesagt. Mit gutem Grund. Denn damals hatte Michael Spindelegger "eine gewaltige Reform" angekündigt und Werner Faymann hatte treffsicher vermutet: "Die Österreicher wollen in erster Linie einen unabhängigen ORF" - und weniger treffsicher hinzugefügt: "Das werden wir wohl hinkriegen." Große Töne entschlossener Reformpartner. Seither herrscht Funkstille.
Geschehen ist nichts und das ist schlecht. Der ORF-Journalist Dieter Bornemann hat zuletzt im Standard ("ORF und Politik: Die Verhöhnung der Reformwilligen", 11. März 2014) den Schaden exakt beschrieben. Die Reaktionen darauf waren erschreckend. Schon klar, Postings sind nicht repräsentativ, aber aussagefrei sind sie auch nicht. Einige wenige haben Bornemann gelobt, die anderen haben ihm nicht widersprochen, sondern ganz allgemein ihr fundamentales Desinteresse am ORF bekundet und teilweise auch ihre Verachtung für dessen in ihren Augen hoffnungslosen Zustand.
Das Thema langweilt. Das ist deswegen so verheerend, weil ein öffentlich-rechtlicher Sender für sein Überleben eine hochmotivierte kampfbereite Minderheit braucht, die sich für seine Unabhängigkeit und seinen Fortbestand auf die Schienen legt. Eine solche Minderheit gab es noch, als wir 2006 SOS ORF erfolgreich gegen Monika Lindner und Werner Mück gestartet haben. Heute gibt es sie nicht mehr.
Stiftungsrat
Das ist auch dem Umgang der Regierung mit dem ORF zu danken und vor allem dem eben abtretenden Stiftungsrat: ehrenwerte Damen und Herren, die nur leider in ihrer überwältigenden Mehrheit zufällig immer so entscheiden, wie ihre Partei es wünscht. Der ORF-Redakteursrat beschreibt das: "So wurde etwa bei der letzten Wahl der Geschäftsführung ein Landesdirektor gewählt, den bis zum Tag der Wahl 34 von 35 Stiftungsräten nicht einmal dem Namen nach kannten. Andere Bewerber um die Position des Landesdirektors wurden dem Stiftungsrat nicht einmal bekannt gegeben. Das hält der Stiftungsrat offenbar mit seiner Sorgfaltspflicht für vereinbar." Die Liste der beschämenden Skurrilitäten ließe sich fortsetzen.
Nun wird ein neuer Stiftungsrat bestimmt - entgegen dem Versprechen von Faymann und Spindelegger nach dem alten Gesetz, und es ist zu befürchten: im alten Geist. Wir werden etlichen von denen, die sich im Sinne ihrer Parteien schon bisher bewährt haben, wieder begegnen und für die Neuzugänge ein kleiner Hinweis: An sich ginge es um die Interessen des ORF und nicht um die der entsendenden Partei. So steht es im Gesetz.
Nun hat der alte Stiftungsrat unmittelbar vor dem Zusperren noch eine Entscheidung getroffen, die für die Zukunft des ORF von allergrößter Bedeutung ist: der Küniglberg bleibt, das Funkhaus in der Argentinierstraße, die legendäre Adresse des Österreichischen Rundfunks, soll aus kommerziellen Erwägungen aufgegeben werden. Ob diese Rechnung überhaupt stimmt, sei dahingestellt. Hier geht es auch noch um etwas anderes: Der Redakteursrat warnt für die Zukunft vor einem "journalistischen Einheitsbrei" und dem Schwinden "redaktioneller Unabhängigkeit und Meinungsvielfalt in einem gemeinsamen Newsroom".
Es gibt gegenteilige Beteuerungen der Geschäftsleitung, aber die Befürchtung ist berechtigt, denn: Der breite Publikumserfolg von Ö1 wird wesentlich vom Aktuellen Dienst, insbesondere den Journalen, getragen. Alles andere, Musik, Feuilleton, Gespräche, ist natürlich wichtig, aber ohne das Rückgrat der Journale sind wir von zehn Prozent Zuhörerschaft auf zwei bis drei Prozent herunten, so wie die anderen Kultursender in Europa.
Marke Ö1 gefährdet
Wenn aber der Aktuelle Dienst Ö1 aus Synergiegründen seine Unabhängigkeit verliert und in der großen trimedialen Gulaschkanone auf dem Küniglberg landet, dann ist die Marke Ö1 ernsthaft gefährdet und noch viel mehr, nämlich der Gebührenanspruch des ORF, der ohnehin schon etwas dünn legitimiert ist - auch wenn das dann Haushaltsabgabe heißen sollte. Da darf man sich nicht spielen, denn das wäre der sichere Weg nach unten.
Die Journalistinnen und Journalisten des ORF wissen das natürlich. Aber interessiert das auch die Politik und kann man es den Mitgliedern des künftigen Stiftungsrates so erklären, dass alle es verstehen und danach handeln? Fest steht: Die ORF-Redaktionen können noch so unabhängig arbeiten und sie tun es auch, das haben sie sich erkämpft, wenn aber die gesetzlichen Rahmenbedingungen betreffend die Gremien und ihre Bestellung nicht geändert werden, dann bleibt das Image des ORF so beschädigt, wie es eben ist.
Hier herrscht dringender Handlungsbedarf. Die Ostermayer-Kommission im Bundeskanzleramt war auf einem guten Weg, ist aber eingeschlafen. Damals war Josef Ostermayer Staatssekretär, jetzt ist er Minister. Er möge handeln im Interesse des ORF. Die Interessen des ORF decken sich nämlich durchaus mit den Interessen der österreichischen Demokratie. Ein starker unabhängiger öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist das Beste für eine aufgeklärte Demokratie in der Auseinandersetzung mit menschenverhetzendem Populismus. Irgendwann sollten das auch SPÖ und ÖVP kapieren. (Peter Huemer, DER STANDARD, 21.3.2014)