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Gestern Stalin, heute Putin: Anti-Moskau-Demo in der Türkei.

Foto: AP/Ozbilici

Das Wort "Russland" ist nicht vorgekommen in der ersten Stellungnahme des türkischen Außenministeriums nach dem Krim-Referendum. Mehr als jeder andere Staat in der Nato fühlt sich die Türkei der Krim-Halbinsel wegen der gemeinsamen Geschichte verbunden. Den Sezessionsbeschluss vom Wochenende unter Anwesenheit russischer Truppen und den Anschluss an Russland sieht auch Ankara als Verstoß gegen internationales Recht - doch mit ihrem Verhältnis zu Russland geht die Türkei sogar noch vorsichtiger als die EU um.

In vagen Sätzen warnte Außenminister Ahmet Davutoglu vor einem "Dominoeffekt in Eurasien" nach der Abspaltung der Krim. Der Geschichtsprofessor dachte wohl an andere Sezessionskonflikte in der weiteren Region - Transnistrien, Berg-Karabach, das Fergana-Tal, das sich Kirgistan, Usbekistan und Tadschikistan teilen.

Anfang März, gleich nach der Flucht des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch, war Davutoglu nach Kiew geeilt. Der neuen Führung erteilte der türkische Außenminister eine Lehrstunde in Diplomatie; so stellte er es zumindest beim Rückflug gegenüber türkischen Journalisten dar: "Sie sind wie wir sowohl in Europa wie in Asien verankert. Bei einer solchen Geografie kann es keine Politik der Abkapselung geben", habe er seinen ukrainischen Gesprächspartnern erklärt. "Wenn Sie Beziehungen mit der EU aufnehmen, müssen Sie das auch mit dem Osten tun."

Russland wichtigster Gaslieferant der Türkei

Russland ist zusammen mit dem Iran der wichtigste Energielieferant der Türkei. Knapp 60 Prozent ihres Gasbedarfs deckt die Türkei beim Nachbarn im Norden. Die Aufhebung der Visumpflicht hat Handel und Tourismus noch angekurbelt. Tatarstan, die große turksprachige, russische Teilrepublik an der Wolga mit der wohlhabenden Hauptstadt Kazan, ist ein wichtiges Ziel türkischer Geschäftsleute.

Ihre Wirtschaftsbeziehungen zu Russland wird die Türkei nun nicht aufs Spiel setzen wollen. Marktbeobachter in der Türkei erwarten nun russisches Kapital, das aus dem Westen abgezogen wird. Ein pragmatischer Kurs gegenüber Moskau, bei dem sich die Türkei unter den neuen Gegebenheiten auf der Krim eine Rolle als Fürsprecher und Wirtschaftspartner der Tataren auf der Halbinsel sichert, scheint ein plausibler Ausgang dieser Krise.

300 Jahre hatte das Osmanische Reich über die Krim auf der anderen Seite des Schwarzen Meers geherrscht. Als die Halbinsel 1783 das erste Mal von Russland annektiert worden war, flüchteten Hunderttausende Krim-Tataren in die heutige Türkei.

Der türkische Premier Tayyip Erdogan sicherte dem Führer der Krimtataren Mustafa Cemil Kirimoglu "jede Art von Initiativen" zu, um der turksprachigen Minderheit zu helfen. Noch am Abend des Referendums, das die Krim-Tataren boykottiert hatten, ließ Erdogan den Tatarenführer nach Izmir bringen, wo er einen Wahlkampfauftritt absolvierte. Wenn die Nato eine Entscheidung über den territorialen Bestand der Ukraine treffe, werde sich die Türkei dem sicherlich anschließen, kündigte Erdogan an. Wohlgemerkt: der Nato, nicht der EU mit ihren ersten Sanktionen gegen Russland. Militärische Optionen auf der Krim standen nie zur Debatte. (Markus Bernath aus Istanbul, DER STANDARD, 21.3.2014)