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Der türkische Regierungschef Tayyip Erdogan hat auf Twitter mehr als vier Millionen Follower.

Foto: Reuters

Istanbul - Die 14. Strafgerichtskammer in Istanbul hat auf Antrag der türkischen Telekommunikationsbehörde TIB den Internetdienst Twitter gestoppt, wie die türkische Ausgabe des "Wall Street Journal" berichtete. In einer Mitteilung des Amts von Premier Tayyip Erdogan hieß es, da Twitter Gerichtsentscheidungen zur Entfernung einzelner Links nicht gefolgt sei, habe es keine andere Lösung gegeben, als den Zugang zu Twitter zu sperren. Der türkische Staatschef Abdullah Gül hat das Twitter-Verbot in seinem Land prompt verurteilt. Der Präsident setzte sich am Freitag über das in der Nacht erlassene Verbot hinweg und erklärte über seinen Twitter-Account, der Bann sei inakzeptabel.

Sosyal medya platformlarının tamamen kapatılması tasvip edilemez.

— Abdullah Gül (@cbabdullahgul) March 21, 2014

 

Technisch sei es ohnehin nicht möglich, weltweit tätige Plattformen wie Twitter gänzlich zu verbieten, erklärte Gül. Sollten per Twitter begangene Straftaten vorliegen, könnten nur individuelle Beiträge auf Gerichtsbeschlüsse hin gelöscht werden. Er hoffe, dass das Verbot nicht lange in Kraft bleiben werde. Für eine Aufhebung der Blockade müsste Twitter allerdings der Sperre einzelner Accounts zustimmen. Die Verhandlungen darüber laufen derzeit in Ankara.

Spekulationen um Erdogan-Gegner

In der Türkei gibt es Spekulationen, dass Regierungschef Tayyip Erdogan damit die Verbreitung weiterer kompromittierender Telefongespräche verhindern will. Deren Echtheit ist nicht immer klar. In einigen Fällen bestätigte sie aber der Premier selbst. Nun könnte es um den immer noch ungeklärten Hubschrauberabsturz eines politischen Gegners Erdogans vor der Kommunalwahl im März 2009 gehen. Der populäre rechtsnationalistisch-islamische Politiker Muhsin Yazicioglu, Chef der Partei der Großen Einheit (BBP), kam damals ums Leben. Sein Todestag jährt sich am 25. März.

Die Nachrichtenagentur Anadolu hatte Erdogan am Donnerstag mit den Worten zitiert: "Twitter und solche Sachen werden wir mit der Wurzel ausreißen. Was die internationale Gemeinschaft dazu sagt, interessiert mich überhaupt nicht." Der Regierungschef hatte bereits zuvor angekündigt, nach der Kommunalwahl Ende des Monats gegen soziale Medien - die von seinen politischen Gegnern stark genutzt werden - vorzugehen. Das schwächte er zunächst wieder ab, nachdem Staatspräsident Abdullah Gül ihm in die Parade gefahren war. 

Twitter-Verbot ein Fehlschlag

Die Twitter-Blockade hat sich mittlerweile als völliger Fehlschlag erwiesen. Twitter-Nutzer umgehen leicht die Sperre, die am Donnerstag um 23.30 Uhr begann. Twitter selbst wies seine Benutzer kurz nach Bekanntgabe des Verbots auf Möglichkeiten hin, die Blockade zu umgehen. Seit der Sperre wurde rund eine halbe Million Tweets in der Türkei verfasst 

Eine Website lässt sich relativ einfach blockieren. Das erfolgt zum Beispiel durch eine sogenannte DNS-Sperre. DNS steht für "Domain Name System", das ist gewissermaßen das Adressbuch des Internets. Bei einer Sperre des Servers wird die vom Nutzer eingetippte Internetadresse nicht mehr in die IP-Adresse, eine lange Zahlenfolge, übersetzt. Dann wird die Seite wird nicht mehr gefunden. In der Regel geben Regierungsstellen dafür den Internet-Providern eine Liste der zu sperrenden Websites oder bestimmter Schlagworte.

Die Netzsperren lassen sich jedoch auch schnell umgehen. Twitter selbst rät den Nutzern in der Türkei aktuell, ihre Tweets per SMS abzusetzen. Über VPN-Zugänge oder Anonymisierungsdienste wie TOR können Nutzer zudem ihren Standort verbergen. Dadurch ist nicht mehr erkennbar, ob sie sich aus einem bestimmten Land, etwa der Türkei, oder von außerhalb einwählen. Die Sperre greift dann nicht mehr. Man kann aber auch auf einen anderen DNS-Server, etwa von OpenDNS oder Google ausweichen, der nicht manipuliert wurde. Die Nutzer legen damit praktisch zusätzliche Adressbücher an.

EU und Weißes Haus verurteilen Twitter-Verbot

EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle äußerte angesichts der Twitter-Blockade seine "tiefe Besorgnis". Das Verbot "lässt die erklärte Verpflichtung der Türkei gegenüber europäischen Werten und Standards fraglich erscheinen", erklärte Füle am Freitag in einer Pressemitteilung. "Zutiefst beunruhigt" zeigte sich auch das Weiße Haus. Die Maßnahme unterminiere die freie Meinungsäußerung und sei mit einem demokratischen Rechtsstaat nicht vereinbar.

Ähnlich äußerte sich EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. "Erdogan scheint eine Kampagne gegen alle Medien und die Presse zu führen, die er nicht direkt beeinflussen oder kontrollieren kann", sagte Schulz. "Dieser autoritäre Zug ist ein direkter Angriff auf die Meinungsfreiheit in dem Land." 

Kurz: "Null Verständnis für Twitter-Sperre"

Auch Österreichs Außenminister Sebastian Kurz kritisiert die Twitter-Blockade in der Türkei. "Ich habe absolut kein Verständnis für die Twitter-Sperre. Die Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut und zu schützen. Überall, aber im Besonderen in Ländern mit EU-Kandidatenstatus", sagte Kurz am Freitag gegenüber der APA.

Der Internetkonzern Twitter äußerte am Freitagabend die Hoffnung, die Blockade werde bald aufgehoben. "Wir stehen unseren Nutzern in der Türkei bei, die Twitter als wichtige Kommunikationsplattform gebrauchen." (Markus Bernath/APA, derStandard.at, 21.3.2014)