Carola Saavedra, "Landschaft mit Dromedar", € 18 / 175 Seiten, C. H. Beck, München 2013

cover: C. H. Beck

Liebe, das sei allein eine Sache zwischen zwei Personen; ein Dritter würde dabei nur stören, glaubte einst Sigmund Freud. In dem großartigen Liebes- und Künstlerroman Landschaft mit Dromedar der jungen Brasilianerin Carola Saavedra, Jahrgang 1973, verursacht der, besser: die Dritte die Störung erst, als sie als verbindendes Medium ausfällt.

Bis dahin hat die Studentin Karen den beiden weltberühmten Konzeptkünstlern Alex und Érika eine neue Blüte ihrer Produktivität beschert. Denn "Beziehungen gibt es nur so. Zu dritt", sinniert im Rückblick die Ich-Erzählerin Érika, nach Karens Krebstod. "Es muss immer einen Dritten geben, der, indem er ausgeschlossen wird, eine Verbindung zwischen den beiden anderen herstellt. Einer muss immer ausgeschlossen werden. Bei uns war es Karen." Gerade Érika hat von der Erweiterung der symbiotischen Künstlerfreundschaft zur Triade profitiert: Zuvor immer nur in Alex' Windschatten, konnte sie sich erstmals aus ihrer künstlerischen Abhängigkeit lösen, gewann Eigenständigkeit. Wozu Karen, eine Schülerin von Alex, einfach nur da sein musste, als "Zeugin unseres Gesprächs, unserer Handlungen" - in der Kunst wie im Bett.

Zu Beginn des Romans ist Karen bereits tot. Ihr Verlust stürzt das Künstlerpaar in eine tiefe Krise. Érika hat sich - ohne Alex - auf eine namenlos bleibende Insel zurückgezogen.

Im Ferienhaus ihrer Galeristin Vanessa versucht sie, Antworten auf quälende Fragen zu finden. Wie der, warum sie, als Karen ihr von ihrer Erkrankung erzählte, jeden Kontakt zu ihr abbrach - und sogar noch einen glücklichen Nachmittag mit dem nichtsahnenden Alex verbrachte. Oder der, was nun aus dem Künstlerpaar werden soll, ohne Karen. Bedeutet ihr Tod nicht auch das Ende von Érika und Alex? Und warum wird ihr die tote Karen, deren "Warum machst du das?"-Anrufe sich noch immer auf Érikas Anrufbeantworter befinden, immer gegenwärtiger? Damit verbunden sind ästhetische Fragen: Ist Kunst, wie Alex sagt, allein abhängig vom Betrachter und dem Zusammenhang, in den er ein Objekt stellt? Ist Bedeutung stets abhängig von ihrem Kontext? Macht Wissen schuldig? Fragen, die Érika zusammen mit ihren Erinnerungen und Reflexionen auf ein Tonband spricht, gerichtet an Alex - 22 Aufnahmen, aus denen der Roman besteht. Zuletzt erfährt man, dass sich das Aufnahmegerät in einem leeren, halbdunklen Raum befindet - und das Ganze somit eine Kunstinstallation zu sein scheint. Von Érika, die sich mit ihr endgültig von Alex befreit? Oder von Alex, der aus Érikas Aufnahmen ein neues Kunstwerk gemacht hat? Auch in diesem Fall entschiede der jeweilige Zusammenhang über die Deutung. (Oliver Pfohlmann, Album, DER STANDARD, 22./23.3.2014)