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Michel Aoun

Foto: REUTERS/Mohamed Azakir

Von Anfang April 2013 bis Mitte Februar 2014 dauerte es, bis Tammam Salam, der neue libanesische Premierminister, seine Regierung zusammen hatte. Danach kamen noch einmal gute vier Wochen dazu, bis sich die trotz Regierungsbildung weiter zerstrittenen politischen Lager auf eine Regierungserklärung einigen und das Kabinett dem Parlament vorstellen konnten. Am Donnerstag war es so weit: Das Parlament stimmte zu, und der Libanon hat nun eine „Regierung des Nationalen Interesses“, das heißt eine, die von den Allianzen des 14. März und des 8. März unterstützt wird. Jedes der Bündnisse stellt je acht Minister, weitere acht Posten gingen an „Neutrale“.

Info-Einschub: Die „Allianz des 8. März“ ist das von der schiitischen Hisbollah geführte prosyrische Bündnis, die „Allianz des 14. März“ ist das Bündnis unter dem Sunniten Saad al-Hariri, Sohn des am 14. Februar 2005 ermordeten Expremier Rafik al-Hariri. Beide Allianzen haben ihre Namen von Tagen im März 2005, an denen Großdemonstrationen für und gegen Syrien stattfanden. Die antisyrische Bewegung, die zum Abzug der syrischen Truppen aus dem Libanon führen sollte (die seit dem libanesischen Bürgerkrieg präsent waren), entstand nach dem Attentat auf Hariri, der sich mit Syriens Präsidenten Bashar al-Assad überworfen hatte – was zum Verdacht führte, dass Syrien mit dem Mord zu tun hatte (heute sind Hisbollah-Mitglieder beim „Sondergericht für den Libanon“ in Den Haag angeklagt).

Zurück zur neuen Regierung: Beim wochenlangen Gerangel um die Regierungserklärung ging es um den üblichen Wunsch der Hisbollah, sie müsse die Formel „Volk, Armee und Widerstand“ enthalten. Unter „Widerstand“ – gegen Israel – versteht die Hisbollah sich selbst und  leitet daraus das Recht ab, einen bewaffneten Arm halten zu dürfen – gegen den Vertrag von Taif, mit dem 1989 der libanesische Bürgerkrieg beendet wurde, und gegen Uno-Resolutionen. Seit die Hisbollah im Krieg in Syrien an der Seite Assads kämpft, stößt das ihren politischen Gegnern umso mehr sauer auf.

Schließlich war es vor ein paar Tagen die Hisbollah, die sich damit zufriedengab, dass in der Regierungserklärung „das Recht der libanesischen Bürger, gegen israelische Besatzung Widerstand zu leisten, israelische Aggression zu beantworten und besetzte libanesische Gebiete zu befreien“ bekräftigt wurde. (Mit den „besetzten Gebieten“ ist das so eine Sache: Das von Israel besetzte Territorium der „Shebaa-Farmen“ ist laut Uno-Rechtsauffassung nicht libanesisches, sondern syrisches Territorium.)

Die Nachfolge Michel Sleimans

Die tiefen Gräben, die die Lager trennen, haben aber immerhin nicht eine gemeinsame Regierungsbildung verhindert. Der Libanon befindet sich am Rande des Abgrunds, täglich verschlechtert sich die Sicherheitslage: Stellvertretend kämpfen Gruppen pro/contra-Assad gegeneinander, der Terrorismus nimmt zu, neuerdings auch wieder in der Form von Selbstmordattentaten. Wirtschaftlich und sozial ist das Land mit immer mehr syrischen Flüchtlingen belastet. Sie nannte der neue Premier Tammam Salam auch als eine der drei Hauptfragen, die für seine Regierung zu lösen seien. Die anderen beiden sind die Sicherheitsfrage – und die Wahl des nächsten libanesischen Präsidenten.  Die Amtszeit von Michel Sleiman läuft Ende Mai aus.

Konkordanzdemokratie

Der Libanon ist eine sogenannte Konkordanzdemokratie: Sie basiert auf einem Übereinkommen der religiösen Gruppen, die Staatsämter untereinander aufzuteilen. Die wichtigsten sind die Präsidentschaft für einen maronitischen Christen, das Ministerpräsidentenamt für einen Sunniten und die Parlamentspräsidentschaft für einen Schiiten. Der Präsident wird vom Parlament gewählt, das heißt, die politischen Gruppen müssen sich entweder auf einen Kandidaten einigen oder zumindest zulassen, dass eine Mehrheit einen Kandidaten wählt.

Wie schwierig das sein kann, zeigte die Wahl des jetzigen Präsidenten Michel Sleimans: Damals dauerte das von Ende November 2007 bis Ende Mai 2008 und kam nur durch Vermittlung von außen (Doha-Abkommen) zustande. Ein beliebtes Mittel zur Verhinderung der Wahl ist der Parlamentsboykott. Der Kandidat braucht für den zweiten Wahlgang nur mehr eine absolute und keine Zweidrittel-Mehrheit mehr, aber wenn es kein Quorum im Parlament gibt, dann geht gar nichts.

Konsens oder politisches Duell

Alle möglichen Kandidatennamen schwirren diesmal durch den Raum, von möglichen Konsenskandidaten (das heißt, nicht als Parteienvertreter geltende), Technokraten, dem Armeechef Jean Kahwaji oder dem Zentralbankgouverneur Riad Salameh, denen beiden zugutegehalten wird, dass sie in der jetzigen Krise den Libanon auf Kurs halten. Aber am häufigsten wird im Moment der Namen eines der derzeit kontroversiellsten Politiker genannt: Michel Aoun, dem Chef der Freien Patriotischen Bewegung, die zur Allianz des 8. März gehört, also mit der schiitischen Hisbollah liiert ist.

Wenn Aoun antritt – was er Mitte der Woche angedeutet hat –, dann würde er sich wahrscheinlich einem Kandidaten des 14. März stellen müssen, etwa Samir Geagea von den Forces Libanaises, Amin Gemayel (Phalangisten) oder Suleiman Franjiyeh (Marada). Das heißt, es würde ein hochpolitisches Duell um die Präsidentschaft werden, wie so oft mit dem Drusenführer Walid Jumblatt als Zünglein an der Waage. Ob so eine Auseinandersetzung gut für den labilen Libanon ist, ist eine legitime Frage.

Allerdings gibt es auch eine andere Sichtweise: Aoun könnte gerade durch das Präsidentenamt „neutralisiert“ werden – in gewisser Weise war das auch mit Sleiman so, der als Hisbollah-freundlich antrat und heute als explizit Hisbollah-kritisch geht. Für das Amt könnte Aoun bereit sein, die Hisbollah – die ihn im Parlament wohl oder übel trotzdem wählen müsste – als Partner gegen den 14. März fallenzulassen. In einem Interview mit al-Hadath-TV, dem Nachrichtenkanal von Al-Arabiya, sagte Aoun zum Beispiel, dass eine starke, gut bewaffnete libanesische Armee die Hisbollah-Miliz unnötig machen würde.

In Washington wird man ihm gut zuhören – auch die Amerikaner sollen eine erfolgreiche Präsidentenwahl im Libanon für so wichtig für die Stabilität des Landes halten, dass ihnen ein (ehemaliger) Hisbollah-Verbündeter an der Spitze des Landes lieber ist als gar kein neuer Präsident. Dass Präsident Barack Obama die libanesischen Präsidentenwahlen nächste Woche bei seinem Besuch bei König Abdullah in Riad diskutieren wird, liegt auf der Hand. Nur durch saudi-arabisches Einwirken kam es überhaupt dazu, dass der 14. März, also Saad Hariri (der in Saudi-Arabien lebt), mit dem 8. März, der Hisbollah, in eine Regierung ging. Vielleicht fällt in Riad auch eine Vorentscheidung für einen libanesischen Präsidenten, der Michel Aoun heißen könnte. (Gudrun Harrer, derStandard.at, 21.3.2014)