Ein Entwicklungsteam von Ingenieuren im Alter von 20 bis 30 Jahren, hört man, stellte Honda vor die Aufgabe, ein Motorrad zu bauen. Herausgekommen ist die Vultus, ein Roller-Cruiser-Future-Moped mit Doppelkupplungsgetriebe, breiten Schultern, schmalen Bürzel und einem Sozius-Sitz, der sich zu einer Rückenlehne aufstellen lässt.
"Weil wir es können und auch genau so wollen", begründet Keita Mikura, Projektleiter der NM4 Vultus in der Presseaussendung, warum die Vultus, so wie sie ist, gebaut wurde. Er verweist auf die Modellvielfalt von Honda und ergänzt: "Es ist großartig und kreativ befriedigend, wenn wir dazu Modelle in die Tat umsetzen, die aus der Reihe tanzen." Mhm. "Wir wollten etwas Einzigartiges schaffen ..." – das ist gelungen – "Ein Maschine, die Menschen anspricht und mehr berührt als andere." Aha? Wollen das nicht alle?
Chopperartige Sitzposition
Während Yamaha eher den Old-School-Weg geht und etwa mit der MT-09 einen kernigen Dreizylinder in eine knackige Naked baut, BMW den luftgekühlten Boxer noch schnell einmal in der Retromaschine nineT zu ehren kommen lässt, geht Honda einen ganz eigenen Weg und erfindet ein Motorrad, wie es zuvor noch nie da war. Vorne breit – fast einen Meter misst sie zwischen den Spiegeln – und hinten schmal mit kurzem Heck. Die Sitzposition ist, bei einer Sitzhöhe von 650 Millimeter, chopperartig – das ganze Design denkbar eigen. Der mächtige Vorderbau ist kantig gezeichnet, die Vultus spielt mit einem breiten Vorderbau, der ein Wheelen wohl unmöglich macht – und zum Durchstechen zwischen den Kolonnen kann man nur auf das Funktionieren der Rettungsgasse hoffen.
Sie ist mit 55 PS Leistung und 68 Newtonmeter Drehmoment alles andere als brustschwach. Angetrieben wird sie vom 745 Kubikzentimeter großen Paralleltwin, den wir bereits aus den NC-Modellen kennen. Und nicht ganz unbekannt ist auf das Doppelkupplungsgetriebe DCT, das in der Vultus serienmäßig verbaut ist. Sechs Gänge sortiert das Stealthmoped, in den Modi Drive, Sport oder Manuell.
Elektronische Spielereien
Natürlich haben sich die Designer da auch gleich ein wenig mit dem Display gespielt. Das leuchtet im Leerlauf mit einem weißen Hintergrund, im manuellen Modus rot, schaltet man auf Drive, in blau – und unendlich sexy: in Sport in pink. Aber das sind elektronische Spielereien, die sich von geübter Hand auch sicher umprogrammieren lassen – auf rosa, beige, lila und himmelblau vielleicht.
Ein gutes Händchen haben die Ingenieure bei der Wahl der Reifen getroffen. Vorne ist ein 18-, hinten ein 17-Zöller montiert, letzterer in 200er-Breite. Mangelnde Agilität wird man der Vultus also sicher nicht vorwerfen können. Da kommt, mit dem Tank der im Sitzdreieck untergebracht ist, auch der tiefe Schwerpunkt zu tragen – nicht hilfreich wird allerdings die nach hinten gelehnte Sitzposition sein. Klammer einmal nicht am Lenker, wenn du wie ein Flughörnchen zwischen Lenker und Fußraste aufgespannt bist.
Ein echtes Erlebnis
Gebremst wird die NM4 Vultus über eine 320er-Scheibe vorne, die mit einer Doppelkolbenzange zusammen arbeitet, und einer 240er-Scheibe hinten. ABS ist bei Honda natürlich so fix dabei, wie der auf die Spitze getriebene Cross-over-Gedanke – und damit die Unsicherheit, ob man denn hier nun auf einem Roller ohne Durchstieg sitzt, auf einem Cruiser oder etwas ganz anderem.
"Mit dem künftigen NM4 Vultus wird jede Fahrt garantiert zu einem echten Erlebnis", ist Keita Mikura überzeugt. Entspannt wird die Reise jedenfalls, mit dem gschmeidigen Doppelkupplungsgetriebe – das uns zwar schon in mehreren Honda-Motorrädern begeistert hat – aber in der öffentlichen Wahrnehmung ein wenig mit dem Alt-Herren-Status eines Automatik-Getriebes kämpft, weil dem elektronisch gesteuerten Schaltgetriebe immer noch das Lasche eines CVT-Getriebes anhaftet.
Diese Vorurteile sollte man sich aber in die Stauräume in der Front stecken: einen Liter fasst das eine, ist abschließbar und mit einer Bord-Steckdose ausgerüstet, drei Liter das andere Fach.
Unter vier Liter, soll der Verbrauch der Vultus liegen. Sie hat eine LED-Leiste als Tagfahr- und Rücklicht und wiegt 245 Kilogramm. Fragt da noch wer, was sie kosten wird? Wir erfahren es im Sommer, wenn die NM4 Vultus auf den Markt kommt – aber wer rund um die 12.000 Euro schätzt, wird nicht allzu weit weg liegen. (Guido Gluschitsch, der Standard.at, 24.3.2014)