"Frauen und ihre Partner sollten sich im Vorfeld der Untersuchung darüber im Klaren sein, was sie tun, wenn bei der Untersuchung eine Organfehlbildung oder eine chromosomale Störung entdeckt wird", sagt Gynäkologe Martin Metzenbauer.

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STANDARD: Wann empfehlen Sie Pränataldiagnostik (PND) über die im Mutter-Kind-Pass vorgesehenen Untersuchungen hinaus?

Metzenbauer: Pränataldiagnostik ist für jede Schwangerschaft wichtig. Viele denken, es ginge dabei nur um das Entdecken von chromosomalen Störungen, allen voran des Down-Syndroms. Viel häufiger sind aber Fehlbildungen an Organen, die teilweise schon im Mutterleib behandelt werden können. Das kann lebensrettend sein, genauso wie das Bestimmen von Parametern, mit denen sich ein Schwangerschaftshochdruck vorhersagen lässt.

STANDARD: Warum ist Pränataldiagnostik erst ab der 12. Schwangerschaftswoche möglich?

Metzenbauer: Obwohl die Auflösung der Ultraschallgeräte immer besser wird, sind uns durch die Größe bzw. die Kleinheit der Kinder Grenzen gesetzt. Ein Fetus in der 13. Schwangerschaftswoche ist von Kopf bis zum Gesäß nur rund sechs Zentimeter lang. Nur die sogenannten Nichtinvasiven Pränataltests kann man etwas früher durchführen.

STANDARD: Was kann man also von der Pränataldiagnostik erwarten?

Metzenbauer: Vor allem kein "Event", bei dem man das Baby wie im Fernsehen zum ersten Mal sieht. Frauen und ihre Partner sollten sich im Vorfeld der Untersuchung darüber im Klaren sein, was sie tun, wenn bei der Untersuchung eine Organfehlbildung oder eine chromosomale Störung entdeckt wird.

STANDARD: Ein Beispiel?

Metzenbauer: Wenn die Nackenfalte verdickt ist, stellt sich die Frage, ob man weiterführende Untersuchungen zu machen bereit ist. Wenn es eine Diagnose gibt, dann geht es letztendlich auch um einen möglichen Schwangerschaftsabbruch.

STANDARD: Was, wenn nicht alles in Ordnung ist?

Metzenbauer: In diesen Situationen ist es wichtig, sich Zeit für detaillierte Erklärungen zu nehmen. Nur dann lässt sich auch das weitere Vorgehen planen. Wir als Pränatalmediziner agieren ergebnisoffen, mir ist es sehr wichtig, dass ich Frauen oder Paare nicht in irgendeine Richtung dränge. Es sind sehr individuelle Entscheidungen. Zeit und umfassende Informationen sind in solchen Fragen essenziell.

STANDARD: Wie eindeutig sind die Ergebnisse?

Metzenbauer: Wir drücken unsere Ergebnisse, die im Rahmen des Screenings rund um die zwölfte Schwangerschaftswoche gewonnen werden, in Wahrscheinlichkeiten aus. Es gibt Frauen, die ein in Prozent ausgedrücktes Risiko gut interpretieren können, andere nicht. Wenn ich nach einer Untersuchung sage: "Sie haben ein Risiko von 1:100, dass ihr Kind eine Chromsomenstörung hat", wird das oft wesentlicher schlimmer wahrgenommen, als wenn ich von einer "Wahrscheinlichkeit von 1:100" spreche. Wichtig ist hier der Nachsatz: "aber 99 Kinder haben den Chromsomenschaden NICHT". Erst Bilder machen abstrakte Zahlen verständlich.

STANDARD: Wie Werden diese Risiken errechnet?

Metzenbauer: Jede Berechnung erfolgt in Bezug auf das Alter der Mutter. Das ist der statistische Hintergrund, der mit den anderen Parametern - wie beispielsweise der Nackenfaltenmessung - verändert werden kann. Das Risiko für eine Frau mit 40 Jahren, ein Kind mit Down-Syndrom zu bekommen, liegt etwa bei 1:100 - von vornherein. Wenn alle anderen Werte gut sind, kann sich das Risiko aber deutlich verbessern.

STANDARD: Gibt es jemals hundertprozentig sichere Ergebnisse?

Metzenbauer: Nein, man kann in der Pränataldiagnostik nie ein gesundes Kind garantieren, weil wir ja mit der uns zur Verfügung stehenden Technik nicht alles untersuchen. Nur: Sobald man sich für ein Kind entscheidet, gibt es nie wieder eine hundertprozentige Sicherheit, weder vor noch nach der Geburt.

STANDARD: Wie hoch sind die Fehlerquoten?

Metzenbauer: Rund 70 Prozent aller Babys mit Down-Syndrom können über die Nackentransparenzmessung entdeckt werden, zusätzlich mit dem Combined-Test sind es 90 Prozent und mit dem Nichtinvasiven Pränataltest mehr als 99 Prozent. Auch die Wahrscheinlichkeit, viele Organfehlbildungen bei der ersten Untersuchung oder beim Organscreening zu entdecken, ist hoch.

STANDARD: Wie hoch ist das Risiko, durch eine PND-Untersuchung eine Fehlgeburt zu erleiden?

Metzenbauer: Bei der Fruchtwasserpunktion liegt das Risiko einer Fehlgeburt bei einem halben Prozent, bei der Chorionzottenbiopsie bei rund einem Prozent.

STANDARD: Wie viel hängt von der ärztlichen Expertise ab?

Metzenbauer: Sehr, sehr viel. Die Österreichische Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin vergibt dreistufige Zertifizierungen. Für die Erlangung der Stufe 2 muss man beispielsweise bereits sehr viele Fehlbildungen selbst entdeckt und auch Prüfungen abgelegt haben. Wir kennen uns in der Szene eigentlich alle und kooperieren bei der Abklärung schwieriger Fälle.

STANDARD: Wie steht es um die Angst der Pränatalmediziner, geklagt zu werden, wenn sie Fehlbildungen übersehen?

Metzenbauer: Die Umstände in der Pränataldiagnostik sind anders als sonst in der Medizin - das beweisen die extrem hohen Schadenssummen, auf die geklagt wird. Wichtig ist, dass man nach bestem Wissen und Gewissen handelt und sich ständig fortbildet. Aber klar, die Angst vor einer möglichen Klage sitzt uns im Nacken. Deshalb wählen viele von uns in den Gesprächen viel explizitere Worte als früher.

STANDARD: Was, wenn Sie ein Down-Syndrom feststellen?

Metzenbauer: Wir beraten, geben Paaren Zeit und zeigen die unterschiedlichen Alternativen auf. Es gibt zwar keine Zahlen, wir zeigen sämtliche Optionen auf. Ich schätze, dass sich die meisten Frauen im Falle eines Down-Syndroms gegen die Schwangerschaft entscheiden. Bei schweren Fehlbildungen, die nicht mit dem Leben vereinbar sind, fällt die Entscheidung meist viel leichter.

STANDARD: Wie oft haben Sie auffällige Befunde?

Metzenbauer: Bei etwa jedem 20. Kind finden wir etwas. Vieles davon ist eher harmlos, in zwei bis drei Prozent der untersuchten Kinder entdecken wir aber etwas Gröberes. Interessant ist, dass gerade viele Frauen, die eine Hausgeburt planen, eine PND machen, um beispielsweise Herzfehler oder andere Fehlbildungen zu erkennen, die unmittelbar nach der Geburt behandelt werden müssten. Es gibt aber auch weniger dramatische Defekte, etwa an den Nieren, das hat bei der Geburt keine Relevanz, dann aber im Leben. Es ist immer gut, so etwas dann dem Kinderarzt zu kommunizieren. (Karin Pollack, Family, DER STANDARD, 9.4.2014)