Beim zweiten Mal soll es klappen. Die katholischen Bischöfe in Deutschland haben beschlossen, den Missbrauchsskandal in ihren eigenen Reihen wissenschaftlich aufarbeiten zu lassen.

"Wir wollen Klarheit und Transparenz über diese dunkle Seite in unserer Kirche - um der Opfer willen, aber auch, um selbst die Verfehlungen zu sehen und alles dafür tun zu können, dass sie sich nicht wiederholen", erklärte der Bischof von Trier, Joseph Ackermann, der auch Missbrauchsbeauftragter der Deutschen Bischofskonferenz ist, am Montag bei der Vorstellung des Projekts.

Aufgekommen war der Skandal im Jänner 2010. Damals wurde bekannt, dass am Berliner Canisius-Kolleg in den 80er-Jahren Schüler von Jesuiten sexuell missbraucht worden waren. Dies brachte eine wahre Lawine ins Rollen: Fast täglich meldeten sich danach in ganz Deutschland ehemalige Schüler, die von Missbrauch durch katholische Priester - bis zurück in die 60er-Jahre - berichteten.

"Zensur- und Kontrollwünsche der Kirche"

Im Juni 2011 beschloss die Bischofskonferenz mit dem Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen und dessen Leiter, Christian Pfeiffer, diese Studie zu erstellen. Doch das Projekt scheiterte 2013 - an den "Zensur- und Kontrollwünschen der Kirche", wie Pfeiffer erklärte. Die Bischöfe hingegen beklagten bei Pfeiffer "Sprunghaftigkeit und mangelnde Seriosität", vor allem gegenüber sensiblen Daten.

Den zweiten Anlauf macht jetzt ein siebenköpfiges Expertenteam gemeinsam mit dem Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit. Dazu zählen Kriminologen, Psychologen und Soziologen. Erfasst werden sollen Fälle ab dem Jahr 1945, die Arbeit wird dreieinhalb Jahre lang dauern.

Forschungsleiter Harald Dreßing möchte nun "den sexuellen Missbrauch sowohl für die Betroffenen als auch für die Öffentlichkeit so transparent wie möglich machen". Sein Team wird dafür Straf- und Kirchenakten auswerten, Interviews mit Opfern, Tätern und Kirchenverantwortlichen führen.

Suche nach Strukturen

Untersuchen wollen die Forscher, ob es spezifische Strukturen und Dynamiken innerhalb der katholischen Kirche gibt oder gegeben hat, die Missbrauch gefördert haben. Zur Arbeitsweise der Experten erklärte Dreßing: "Wir sind frei." Man werde unabhängig und nach wissenschaftlichen Kriterien vorgehen.

Dass es bereits einen Wandel innerhalb der Kirche gibt, bescheinigt auch Pfeiffer. Bei seinen, später abgebrochenen, Untersuchungen habe sich gezeigt, dass Priester früher nach Missbrauchsfällen bloß versetzt wurden, aber "weiter arbeiten durften mit veränderten Arbeitsinhalten".

Dies sei jetzt anders. Pfeiffer: "Wenn heute ein Priester einen sexuellen Missbrauch verübt, dann verliert er seinen Job, und dann wird er kirchenrechtlich bestraft, und vor allem bekommt er auch seine staatliche Strafe." (Birgit Baumann aus Berlin, DER STANDARD, 25.3.2014)