Zwei Verhandlungstage, 529-mal Todesstrafe gegen Muslimbrüder und deren Anhänger: Ein Richter in Oberägypten hat offenbar beschlossen, ins Guinness-Buch der Rekorde zu kommen. Diese ironische Bemerkung ist gestattet, denn die Chance, dass diese Urteile halten, ist äußerst gering. Aber sie sind ein Symptom dafür, dass zumindest einem Teil des ägyptischen Establishments nur eine Strategie im Umgang mit der Muslimbruderschaft einfällt: Kriminalisierung und Ausmerzung.

Vielleicht - nicht sehr wahrscheinlich - gelingt es sogar, die Muslimbrüder kurzfristig aus der Öffentlichkeit verschwinden zu lassen. Aber unter der Oberfläche wird die Polarisierung der ägyptischen Gesellschaft nicht nur bestehen bleiben, sondern sich vertiefen und im entscheidenden Moment wieder aufbrechen.

Zu den institutionellen Gewinnern des Umsturzes im Juli 2013, bei dem der Muslimbrüder-Präsident Mohammed Morsi abgesetzt wurde, gehörte neben dem Militär auch die Justiz: Die Sonderrolle beider wurde in der Verfassung, die vor zwei Monaten in Kraft trat, festgeschrieben. Apologeten führen immer wieder an, dass das von den Muslimbrüdern angerichtete Chaos nur durch einen straff organisierten Übergang beseitigt werden kann. Das mag sein: Aber wenn nun ein Richter nicht Recht spricht, sondern offen seine Rachegelüste auslebt, dann zerschlägt er die Glaubwürdigkeit der ganzen neuen Ordnung. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 25.3.2014)