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Wladimir Putin erfreut sich großer Beliebtheit.

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Wladislaw Inosemzew (45) ist Wirtschaftsprofessor und Leiter des Zentrums für Postindustrielle Studien in Moskau. In Wien war er auf Einladung des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) zu Gast.

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Putin sei nur von echter Bedrohung für die Wirtschaft zu beeindrucken, sagt er Manuel Escher.

STANDARD: Hat sich der Westen in seiner Einschätzung der Regierung in Moskau täuschen lassen? Streben Russlands führende Politiker überhaupt Kooperation an?

Inosemzew: Natürlich wollen sie wirtschaftliche Kooperation - nicht nur mit Europa, sondern mit jedem. Sie wollen sich allerdings nicht belehren lassen. Sie wollen Verträge schließen, die für sie profitabel sind. Sie wollen Zugang zu Märkten. Aber: Putin glaubt, dass Russland mehr ist als ein typischer Nationalstaat - nicht nur für die eigene Bevölkerung verantwortlich, sondern für Leute jenseits der Grenze, die er als ethnische Russen versteht.

STANDARD: Reicht der Wunsch nach Wirtschaftskooperation, um Russland von Expansionsbestrebungen abzuhalten?

Inosemzew: Ja - sofern die russische Führung zur Ansicht gelangt, dass die Wirtschaft wirklich gefährdet ist. Aber bisher hat niemand Schritte gesetzt, die Moskau davon überzeugen könnten. Weder die EU noch die USA haben echte Sanktionen erlassen. Und davon könnte sich Russland ermuntern lassen, weiter zu gehen.

STANDARD: Die aktuellen Sanktionen, die sich auf einen engen Personenkreis beziehen, sind nicht geeignet?

Inosemzew: Nein. Denn diese Leute sind für Putin extrem unwichtig. Fast alle, gegen die bisher Sanktionen erlassen wurden, sind Nobodys. Das bisherige Verhalten der EU-Staaten ist für mich der Beweis, dass sie in Wirklichkeit nichts Ernstes tun wollen.

STANDARD: Wie steht es um den "Vertrag" Putins mit der Bevölkerung, die seine Regierung akzeptiert, solange es ihr wirtschaftlich gut geht?

Inosemzew: Seit 15 Jahren steigen die Einkommen. Putin erfreut sich großer Beliebtheit. Seit rund einem Jahr sucht er nun nach Feinden, die dieses Wachstum bremsen könnten. Er wird in diesem Fall sagen, dass der Westen und die internationale Gemeinschaft versuchen, die Wirtschaft zu gefährden, und dass es daher unsinnig sei, gegen ihn zu protestieren. So könnte er zwei, drei Jahre gut durchkommen.

STANDARD: Es heißt, eine territoriale Expansion wäre für die Wirtschaft ziemlich teuer.

Inosemzew: Das wird sie definitiv sein.

STANDARD: Wäre das dann nicht trotzdem gefährlich für Putins bisherige Art des Regierens?

Inosemzew: Nach 15 Jahren an der Macht bleibt niemand vorsichtig oder rational. Auch Putin nicht. Er glaubt an seine absolute Wichtigkeit, an eine messianische Mission. Ich vermute, dass er die Wirtschaft bisher kaum mitdenkt. Es gibt zwei Arten von Verlusten: Die Krim wird Russland wohl rund 3,5 Milliarden Euro pro Jahr kosten. Das klingt nach viel - aber für das russische Budget ist es das nicht. Größere Probleme sind Kapitalflucht und schlechtes Investitionsklima. Resultat könnte ein BIP-Verlust von 1,5 bis zwei Prozent sein. Wenn der Westen echte Sanktionen beschließt, wird es noch schlimmer.

STANDARD: Solche Sanktionen könnten für Russland teuer sein - aber eben auch für den Westen.

Inosemzew: Selbstverständlich. Aber niemand hat bisher eine detaillierte Analyse gemacht. Fehlen Europa zum Beispiel 0,5 Prozent des BIPs, wäre das schlimm. Aber es könnte gemeistert werden. Aber wenn Russland 30 Prozent seiner Exporte verliert, ist es eine Katastrophe.

STANDARD: Wie sehen Sie den Zeithorizont für die Krise?

Inosemzew: Die größte Frage ist, ob Putin den Osten der Ukraine einnehmen will. Seine Strategie ist im Moment, Regionen zu destabilisieren, damit die ukrainischen Wahlen dort nicht stattfinden. Wenn sie das nämlich tun, kann er die Legitimität der neuen ukrainischen Regierung schwerer infrage stellen. Wenn er sich für eine Invasion entscheidet, wird die Krise Monate dauern. Wenn nicht - dann ist sie bereits vorbei.

STANDARD: Wie meinen Sie das?

Inosemzew: Wir haben nun eine neue politische Realität. Wenn der Westen nichts ändern will, kann man zu einem Verhältnis zurückkehren, wie es zuvor war. Die Russen würden sich freuen. Wenn man Sanktionen will, dann kann man auch das machen. Das Resultat wäre vielleicht ein neuer kalter Krieg. Der letzte hat fast 50 Jahre gedauert. Doch er war keine Krise, sondern eine stabile Situation.

STANDARD: Was kann die EU abseits von Sanktionen machen, um das zu erreichen, was sie als ihre Ziele ansieht: eine demokratische Ukraine und ein demokratischeres Russland?

Inosemzew: Ich schlage vor, dass sich die Europäer nicht um die russische Demokratie sorgen. Es ist Russlands Entscheidung, im Moment ein undemokratisches, illiberales, asiatisches Land zu sein. Anders die Ukrainer: Sie haben 2004 eine europäische Perspektive gewählt - aber es gab kaum eine Reaktion der EU. Wenn sie nun schweigt, wird das für Russland ein Zeichen sein, dass Europa keine prodemokratische Kraft mehr ist. Doch es gäbe auch ein anderes Signal: dann, wenn die Ukrainer, die den Russen so ähnlich sind, in zwölf oder 15 Jahren zu wohlhabenden Europäern würden. Der Erfolg der Ukraine wird in großen Teilen die Zukunft Russlands bestimmen. (DER STANDARD, 25.3.2014)