Foto: Verlag Freies Geistesleben

Das Wort "normal" reicht für diese Familie nicht aus. "Wir sind anscheinend in einer Hypernormalität gefangen", hält Birte Müller fest. Und meint damit: "Natürlich haben auch 'normale' Vierjährige Brillen, Hörgeräte, Paukenröhrchen, Windeln, Ergotherapie, Atemwegsinfekte und werfen den Teller an die Wand oder ziehen sich nicht selbst an und aus." Mit Willi ist das aber anders. Willi, Birte Müllers Sohn, hat das Down-Syndrom. Im Gegensatz übrigens zur Tochter, die hat das "Normal-Syndrom".

Birte Müller ist Kinderbuchautorin und Illustratorin ("Planet Willi") – und schreibt über ihr Familienleben Kolumnen für das Magazin "a tempo". Mit "Willis Welt. Der nicht mehr ganz normale Wahnsinn" legt sie nun eine Sammlung von ihren Alltagsgeschichten in Buchform vor. Müller verzichtet auf Klischees, zeigt den 2007 geborenen Buben über eine Zeit von zwei Jahren so, wie er ist. "Ich möchte gerne denken, dass wir eine ganz normale Familie sind, mit Höhen und Tiefen, nur dass unsere Tiefen mit Willi ein Albtraum sind und unsere Höhen vielleicht deswegen umso mehr herausragen."

Das schlechte Gewissen

Die Hamburgerin will sich auch kein Blatt vor den Mund nehmen, es stört sie auch nicht, "angreifbar zu sein", weil sie etwa nicht jede Therapie ihres Sohnes mitmacht. Im Buch wird also gelacht, gemotzt und geklagt. Nicht alles stimmt, die "volle Wahrheit" wäre der Leserschaft gar nicht zumutbar. Mit Selbstironie und auch mit starken Zweifeln wird erzählt. Und manche Geschichten sind schlicht traurig, beispielweise, wenn Müller über das schlechte Gewissen schreibt, das sie treibt, wenn sie Willi für eine kurze Zeit in eine Betreuungseinrichtung gibt, damit die Eltern mit Tochter Olivia sich eine Art "Auszeit" nehmen können.

"Es wurde nicht geworfen, geschlagen, geschrien, nicht mit Kot geschmiert, es lief keiner weg, es lag keiner auf dem Boden, es ging nichts kaputt, es musste sich niemand brüllend zwangsweise an neue Räume, Betten und Stühle gewöhnen, es mussten keine Schubladen, Türen und Geräte gesichert werden …", listet sie auf. Restlos glücklich hat der erste Urlaub zumindest dennoch nicht gemacht. Es ist eben ein Leben in "Extremnormalität". (Peter Mayr, derStandard.at, 25.3.2014)