Karlsruhe - Ob Kratzer im Autolack oder Risse in polymerem Material: Selbstheilende Werkstoffe können nach Beschädigungen ihre ursprüngliche molekulare Struktur wiederherstellen. Wissenschafter des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und des Unternehmens Evonik Industries entwickelten nun eine chemische Vernetzungsreaktion, durch die sich bei milder Erwärmung innerhalb kurzer Zeit gute Heilungseigenschaften des Materials erreichen lassen. Die Ergebnisse ihrer Forschung veröffentlichen sie aktuell im Fachmagazin "Advanced Materials".

Die Karlsruher Forschungsgruppe um Christopher Barner-Kowollik nutzt zur Herstellung selbstheilender Materialien die Möglichkeit, funktionalisierte Fasern oder kleine Moleküle durch eine umkehrbare chemische Reaktion zu einem Netzwerk zu verknüpfen. Diese sogenannten schaltbaren Netzwerke lassen sich – nach einer Beschädigung – in ihre Ausgangsbausteine zerlegen und wieder neu zusammenfügen. 

Polymernetzwerk

Dieser Ansatz hat den Vorteil, dass sich der Selbstheilungsmechanismus beliebig oft auslösen lässt, zum Beispiel durch Hitze, Licht oder durch die Zugabe bestimmter Chemikalien. "Unsere Methode ist vollkommen katalysatorfrei, sie benötigt keinerlei Zusatzstoff", sagt Barner-Kowollik. Als Inhaber des Lehrstuhls für Präparative Makromolekulare Chemie am KIT befasst sich der Wissenschaftler mit Synthesen von makromolekularen chemischen Verbindungen.

In rund vierjähriger Forschung entwickelten die Wissenschafter ein neuartiges Polymernetzwerk. Bei vergleichsweise geringen Temperaturen von 50 bis 120 Grad Celsius zeigt das Netzwerk in wenigen Minuten sehr gute Heilungseigenschaften. Die benötigte Zeit zu verringern und die äußeren Bedingungen, unter denen der Heilungsprozess abläuft, zu optimieren, gehört zu den wesentlichen Herausforderungen der Forschung an selbstheilenden Materialien. 

Stärkere Bindung

Einen Erfolg sehen die Forscher in der großen Zahl der intermolekularen Bindungen, die sich in dem von ihnen entwickelten Heilungszyklus beim Abkühlen in sehr kurzer Zeit wieder schließen. Zudem bestätigten mechanische Tests wie Zugversuche und das Prüfen der Zähigkeit, dass sich die ursprünglichen Eigenschaften des Materials vollständig wiederherstellen lassen. "Es ließ sich nachweisen, dass die Testkörper nach der ersten Heilung sogar stärker gebunden sind als vorher", so Barner-Kowollik.

Die selbstheilenden Eigenschaften lassen sich auf die große Bandbreite der bekannten Kunststoffe übertragen. Neben der Selbstheilung erhält das Material eine weitere vorteilhafte Eigenschaft: Da es bei höheren Temperaturen fließfähiger wird, lässt es sich gut umformen. Ein Anwendungsbereich ist zum Beispiel die Teileproduktion aus faserverstärktem Kunststoff in der Automobil- oder Luftfahrtindustrie. (red, derStandard.at, 29.3.2014)