Bild nicht mehr verfügbar.

Kämpfer der Al-Nusra-Miliz in Syrien. Osman K. soll sich dort aufgehalten haben.

Foto: REUTERS/Abdalghne Karoof

Wien - Dass Norbert Gerstberger ungehalten wird, kommt selten vor. Am Dienstag ist es im Verfahren gegen Osman K. gleich mehrmals so weit. "Glauben Sie, dass es gescheit ist, sich so zu verteidigen? Das ist doch lächerlich", grummelt der Vorsitzende des Schöffengerichts, vor dem sich der 20-jährige K. wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Teilnahme an einem Terrorcamp verantworten muss.

Er soll Ende Juni über die Türkei nach Syrien gekommen sein und sich dort wochenlang bei den islamistischen Al-Nusra-Brigaden aufgehalten haben, wirft ihm Staatsanwältin Michaela Schön vor. Ihr Problem: Es gibt keinen eindeutigen Beweis, dass der junge Mann tatsächlich in dem Bürgerkriegsland war. Er selbst leugnet das strikt.

Gerstberger beginnt mit der Bitte, der Angeklagte solle ihm etwas über sein Leben erzählen. Mit neun Jahren zog dieser mit Mutter und Geschwistern aus der Westtürkei zu seinem Vater nach Wien. Integrationsunwilligkeit kann man K. nicht vorwerfen: Er spricht leidlich Deutsch, hat die Schule besucht und stand vor dem Ende seiner Malerlehre, als er am 3. Dezember verhaftet worden ist.

Besorgte Familie

Dies sei geschehen, nachdem er von einem rund fünfmonatigen Aufenthalt bei Verwandten im Nordosten Türkei zurückgekehrt sei, wie er sich nun verteidigt. Was kein Grund für ein staatspolizeiliches Interesse wäre - wäre er nicht am 20. Juni überraschend aus der elterlichen Wohnung verschwunden. Darüber sorgten sich nämlich Eltern und Brüder so, dass sie ihn bei der Polizei als vermisst meldeten - und den Beamten von ihrer Angst erzählten, er könnte zu den radikalen Islamisten nach Syrien gefahren sein.

Während Anklägerin Schön das Problem hat, seinen Aufenthalt dort nicht beweisen zu können, kämpft umgekehrt K. mit der Schwierigkeit, dass es doch recht viele Indizien und Zeugenaussagen gibt, die das nahelegen.

Da ist zunächst seine Familie. Die hat bei mehreren Vernehmungen durch die Polizei berichtet, er habe sich etwa zwei bis drei Monate vor seinem Verschwinden innerlich und äußerlich verändert. "Wie erklären Sie sich, dass Ihre Familie beschreibt, dass Sie plötzlich einen Bart trugen und einen Kaftan gekauft haben?", will Gerstberger wissen. "Es gab Tage, an denen ich mich nicht rasiert habe. Aber das hat nichts mit Religion zu tun", hört er als Antwort.

Wunsch nach Fernsehverbot

"Sie sollen auch gefordert haben, dass die Familie nicht mehr fernsieht, da dort unbekleidete Frauen zu sehen sind?", lautet die nächste Frage. "Dazu sag ich nichts."

Begonnen haben soll die Veränderung, als K. eine Moschee in Wien-Leopoldstadt zu besuchen begann, wo aus Sicht des Verfassungsschutzes ein "Hassprediger" tätig sei. "Ist es richtig, dass dort zum Kampf gegen Ungläubige aufgerufen wird? Und dass es keine Sünde sei, im Krieg jemanden zu töten?", fragt der Vorsitzende interessiert nach. Das habe nämlich sein Bruder, der nur zweimal mit war, bei der Polizei so gesagt.

Der Angeklagte will das nie gehört haben beziehungsweise kann sich nicht daran erinnern. "Was haben Sie denn gehört?" "Der Iman hat davon geredet, wie man sich durch Gebete ändern und ein guter Mensch werden kann."

Gerstberger nimmt es zur Kenntnis und will wissen, wie K. in die Türkei gekommen sei. "Da gibt es ja tolle Geschichten", kündigt der Vorsitzende an. "Ich habe mir in Floridsdorf eine Fahrkarte gekauft, weil ich mit dem Zug nach Istanbul fahren wollte. Dann bin ich vom Westbahnhof nach Budapest gefahren und habe dort gehört, dass der Anschlusszug zehn Stunden Verspätung hat."

Nicht auf Passagierliste

Also änderte er seinen Reiseplan und kaufte sich am Flughafen ein Ticket nach Istanbul, erzählt K. "Das ist überprüft worden - Ihr Name scheint weder zehn Tage vor noch nach dem fraglichen Datum bei dieser Fluglinie auf einer Passagierliste auf", hält ihm Gerstberger vor. Und überhaupt habe es damals keine Direktflüge gegeben. K. bleibt dabei.

Mit öffentlichen Verkehrsmitteln sei er dann in die 100.000-Einwohner-Stadt, in der Onkel und Tante wohnen, gefahren und dort geblieben. "Was haben Sie denn dort gemacht?" "Nicht viel. Die Familie besucht." "So lange? Das wird ja schon ein bissi fad", stellt Gerstberger fest. "Und warum haben Sie Ihre Eltern nicht angerufen und gesagt, wo Sie sind?" "Ich habe erst nach einem Monat angerufen, weil ich zu spät draufgekommen bin", lautet die Erklärung.

Kontakt hatte er allerdings schon mit der Heimat: Via Facebook und Skype meldete er sich bei seinem Bruder und einem Freund. Sein Bruder Yusuf K. schilderte bei der Polizei, dass K. geheimnisvoll tat, schlussendlich aber sagte, er sei in Syrien. Und: K. habe gesagt, er tue sich mit der Einrichtung von Skype schwer, da alles in Arabisch angeschrieben sei. "Das ist seltsam, da seit 90 Jahren in der Türkei die westliche Schrift verwendet wird", demonstriert Gerstberger Geschichtswissen.

Ein Spaß als größter Fehler

Unrund wird er schließlich, als der Angeklagte erklärt, warum er die Syrien-Geschichte überhaupt verbreitet habe. Und unter anderem konkret kommunizierte, bei welcher Gruppe er in einem Ausbildungslager sei und dass man ihn erst im Jenseits wiedersehen werde. "Das war ein Spaß. Der größte Fehler meines Lebens", sagt K. nämlich. "Und wo ist da der Witz?" "Ich wollte nur sehen, wie die anderen reagieren." Sein Verteidiger Georg Haunschmidt wertet es als jugendliche Prahlerei.

Dass ein Freund beim Anruf eines Unbekannten, der sich wie K. angehört habe, eine syrische Vorwahl auf seinem Handy gesehen haben will, kann sich K. nicht erklären. Eine halbe syrische Banknote, die bei der Hausdurchsuchung in seinem unter der Matratze versteckten Koran gefunden wurde, will er in Istanbul auf der Straße gefunden haben. Die 131 Fotos von einschlägigen Webseiten mit offensichtlich islamistischen Kämpfern auf seinem Computer sieht K. auch nicht als tragisch an. "Ich habe auch Bilder von Autos verschickt."

Gerstberger gibt ihm eine Chance: "Niemand sagt, dass Sie der Führer von Al-Kaida sind. Bei einem Geständnis würden Sie dem Gericht die Möglichkeit geben, Milde walten zu lassen. Sprechen Sie nochmals mit Ihrem Anwalt", rät der Vorsitzende. Ergebnislos.

Bruder widerruft Aussage

Umso überraschender ist dann die Aussage seines Bruders Yusuf. Der sagt plötzlich, er habe bei der Polizei übertrieben. Es habe keine Veränderung bei K. vor seinem Verschwinden gegeben, aufstachelnde Reden seien in der Moschee nie geschwungen worden. An die Sache mit den arabischen Schriftzeichen kann er sich auch nicht mehr erinnern.

"Sie spulen da eine eingelernte Geschichte herunter, habe ich das Gefühl", ärgert sich Gerstberger. "Warum haben Sie bei der Polizei etwas völlig anderes gesagt?" "Die haben mich nicht ernst genommen bei der Vermisstenanzeige. Ich dachte, wenn ich etwas von Terror erzähle, finden sie ihn schneller."

"Jetzt wollen Sie mir sagen, dass man Sie beim Verfassungsschutz nicht ernst nimmt, wenn Sie zweieinhalb Stunden detailreich etwas über Syrien erzählen?", grummelt Gerstberger. "Die haben mich so komisch angeschaut", bleibt Yusuf K. bei seiner Darstellung. Die dazu führt, dass Staatsanwältin Schön ankündigt, eine Anklage wegen falscher Zeugenaussage prüfen zu wollen.

Anders verhalten sich Vater, Mutter und ein weiterer Bruder: Sie machen von ihrem Entschlagungsrecht Gebrauch.

Zeugen aus der Türkei

Verteidiger Haunschmidt baut darauf, dass der Onkel und die Tante von K. das nicht tun werden. Er beantragt sie als Zeugen. Sie sollen bestätigen, dass der Neffe tatsächlich zwischen Juni und November bei ihnen war. Ob die auf Gerichtskosten nach Österreich kommen würden, will Gerstberger wissen. "Die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass sie persönlich erscheinen", sagt der Angeklagte. Vertagt wird vorerst dennoch. (Michael Möseneder, derStandard.at, 25.03.2014)