Die Thematik der anstehenden Parlamentswahlen in Ungarn findet auch ihren Niederschlag in Wien. Das Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) lud am Dienstag gemeinsam mit dem Renner-Institut und der Politischen Akademie zur Podiumsdiskussion "Ungarn vor den Wahlen".
Die entscheidende Frage vor den Parlamentswahlen am 6. April schien dabei lediglich, ob der ungarische Bürgerbund (Fidesz) von Viktor Orbán, der seit 2010 regiert, erneut die Zweidrittelmehrheit erreicht. Das Orbán erneut zu den Wahlgewinnern zählen wird, darauf scheinen alle Prognosen hinzudeuten.
Zersplitterte Opposition
Der Opposition, die sich Anfang dieses Jahres auf ein von den Sozialdemokraten dominiertes Wahlbündnis aus insgesamt fünf Parteien einigen konnte, gaben alle Diskutanten auf dem Podium wenige Chancen, die Mehrheit von Fidesz zu brechen. Als Grundsatzproblem der ungarischen Gesellschaft wurde deren Spaltung in politische Lager genannt. Die Korrespondentin der Neuen Züricher Zeitung für Österreich und Ungarn Meret Baumann sagte: "Ungarn ist politisch gespalten, wie ich es bisher nicht gekannt habe." Das Lagerdenken und die verfeindete Stimmung aufzubrechen, werde auch die Herausforderung für die kommenden vier Jahre sein, sagte Baumann. Sie selbst sei nicht besonders zuversichtlich, ob der Erfolgschancen dieser Forderung.
Drei relevante Gravitationszentren
Den Wahlerfolg von Fidesz vor vier Jahren versuchte Frank Spengler, der Leiter des Auslandsbüros der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Ungarn mit der Enttäuschung der Wähler über die zuvor regierenden Sozialdemokraten zu erklären. Derzeit gebe es in Ungarn drei relevante parteipolitische Gravitationszentren: Zum einen Fidesz in der Mitte, links davon die Sozialdemokraten und rechts davon die rechtsradikale Jobbik Partei. Wobei, laut Spengler, Jobbik bereits gemäßigtere Töne anschlagen würde, um auch Stimmen der Jungen oder gemäßigteren Wähler bekommen zu können. Das Problem der linken bzw. liberalen Opposition sei, neben ihrer erst relativ spät gekommenen Einigung auf eine gemeinsame Liste, dass sie sich schwertue, sich als tätsächliche Erneuerer zu präsentieren, sagte Spengler. Viele der handelnden Personen in diesen Parteien waren schon vor 2010 als politisches Personal in der alten Regierung vertreten. Auch in der inhaltlichen Ausrichtung habe es kaum Veränderungen gegeben.
Debatte zur Wirtschaftspolitik
Eine Debatte, die sich bei der von STANDARD-Redakteur Josef Kirchengast moderierten Veranstaltung entspann, drehte sich um die unterschiedliche Einschätzung und Bewertung der ungarischen Wirtschaftspolitik. Während Zoltán Kiszelly, Politikwissenschaftler und Dozent an der János-Kodolányi-Hochschule für angewandte Wissenschaften und ein unverhohlener Sympathisant der Orbán-Regierung und Frank Spengler den Schuldenabbau und das Wirtschaftswachstum Ungarns als positive Entwicklung beschrieben, kritisierte NZZ-Korrespondentin Baumann die eingeführte Flat Tax als sozial weniger gerecht als ein progressives Steuersystem. Kiszelly, angesprochen auf die vielfach kritisierte EU-Politik der ungarischen Regierung, verteidigte diese Politik mit dem Hinweis, dass auch andere Mitgliedsländer der EU zum Teil recht kritisch gegenüberstehen würden. Er verwies in diesem Zusammenhang auf Margaret Thatcher, die den sogenannten Briten-Rabatt verhandelte, oder Charles de Gaulles "Politik des leeren Stuhles", mit der die EU-Institutionen durch das Fernbleiben der französischen Verhandlungsdelegation quasi ein halbes Jahr gelähmt waren. Dennoch: Ungarn fühle sich, sagte Kiszelly, als Teil des europäischen Hauses, aber es scheue sich nicht, nationale Interessen auch durch Konflikte wahrzunehmen. Orbán ist für Kiszelly ein Realpolitiker. In Bezug auf Jobbik könnte Orbán "als Bändiger von Jobbik" gelten, sagte Kiszelly. Eine Aussage, die im Publikum für Gelächter sorgte.
Demokratie als tägliche Übung
István Grajczjár, Lehrstuhlleiter für Soziologie am King-Sigismund-College in Budapest und Dozent an der Universität Wien, charakterisierte die Orbán-Regierung folgendermaßen: "Sie sprechen viel über Moral und Werte. Allerdings diskutieren sie in einer Weise, dass niemand außer Fidesz daran teilnimmt." Die derzeitige Regierung agiere vielleicht gesetzlich korrekt, aber es sei notwendig zu fragen, ob es auch politisch korrekt sei, 400 Gesetze ohne Diskussion mit der Opposition oder zivilgesellschaftlichen Interessensgruppen zu beschließen. Denn Demokratie sei nichts Feststehendes, sondern eine tägliche Übung. (mka, derStandard.at, 25.3.2014)